Nekropole (German Edition)
bleibt keine Wahl.«
»Das kannst du ja gerne für dich entscheiden«, polterte Abu Dun, als wollte er sich plötzlich zu Aylas Beschützer aufspielen, »aber was das Mädchen …«
»Sei still, Pirat«, unterbrach ihn Andrej. Die Worte schnitten wie Glasscherben in seine Kehle, während er sie aussprach. Aber er tat es trotzdem. »Es stimmt. Wir müssen sie auslöschen. Alle.«
Abu Dun murmelte eine Antwort, auf die Andrej aber nicht mehr achtete. Der Nubier wusste so gut wie er, dass es so war, wie Hasan sagte. Er drehte sich noch einmal zu Ayla um und lächelte sie aufmunternd an. »Hab keine Angst«, sagte er. »Dir wird nichts passieren.« Dann packte er sein Schwert fester und ging wieder zum Anfang des gemauerten Tunnels zurück, um sich der heranschlurfenden Armee der Toten zu stellen.
Er musste nicht lange warten. Weitere Tote näherten sich, als nähme ihre Zahl nun buchstäblich kein Ende mehr, und hätte Andrej es zugelassen, dann wäre er bis ins Mark erschrocken, als ihm klar wurde, wie viele der bleichen Gesichter er kannte. Mit zwei von ihnen hatte er noch vor wenigen Stunden zusammengesessen, vielleicht waren es auch mehr, doch die schreckliche Verhöhnung von Leben hatte ihre Gesichter so sehr entstellt, dass selbst ihre Mütter sie wohl nicht mehr erkennen würden. Aber er sah auch andere, Männer, Frauen und Alte, selbst Kinder, die sich gebückt und mit pendelnden Armen und offen stehenden Mündern voranschleppten, eine schreckliche Kriegsbeute, die die stumme Armee auf ihrem Weg aufgelesen hatte.
Und plötzlich begriff er, dass Hasan den richtigen Befehl gegeben hatte. Dieses Grauen hatte seinen Anfang am Morgen im Gasthaus genommen, mit einem einzelnen Mann oder vielleicht einem vermeintlich harmlosen Tier, und jetzt bestand diese schlurfende Armee bereits aus mehreren Hunderten. Schaudernd erinnerte er sich daran, wie schnell der Schrecken in Jaffa um sich gegriffen hatte. Wenn auch nur eine Einzige dieser furchtbaren Kreaturen entkam, dann war ganz Rom in Gefahr. So sehr er Hasan dafür hasste, Ayla als Köder benutzt zu haben, musste er doch zugeben, dass es das einzig Richtige gewesen war.
»Wir sind nicht zufällig hier«, wandte er sich an Hasan. »Habe ich recht? Du hast sie hierher gelockt, damit wir sie unschädlich machen können.«
Abu Dun fügte grimmig hinzu: »An den wahrscheinlich einzigen Platz in der ganzen verdammten Stadt, an dem heute niemand ist.«
Hasan sagte gar nichts dazu, was alles oder auch nichts bedeuten konnte. Bevor Andrej nachhaken konnte, schleuderte einer der Assassinen seinen Wurfstern. Er schrammte an der Schläfe eines der heranwankenden Toten entlang und fetzte brüchiges Fleisch und Knochensplitter aus seinem Schädel, ohne ihn auch nur langsamer zu machen. Ein zweiter Assassine besserte das Ungeschick seines Kameraden mit einem gezielten Wurf aus, aber Andrej nahm das kleine Missgeschick dennoch ernst. Assassinen verfehlten niemals ihr Ziel. Das zeigte, wie erschöpft die Männer waren.
Er ergriff das Schwert fest mit beiden Händen und trat noch dichter an Ayla heran. Solange noch ein Atemzug Luft in seiner Lunge und ein Tropfen Blut in seinen Adern war, würden sie Ayla nicht bekommen, das versprach er sich. Erstaunt sah er, dass Abu Dun anscheinend ein ganz ähnliches Versprechen abgegeben hatte, denn er nahm an Hasans anderer Seite Aufstellung, das gewaltige Schwert in der linken Hand, die tödliche Eisenklaue geöffnet. Doch die Frage war, wen er eigentlich beschützen zu müssen glaubte.
Ein weiterer Toter fiel, von einem Schwertstreich so präzise enthauptet wie von einer Guillotine, doch der Hieb war mit viel zu viel Kraft geführt, er schnitt durch das mürbe Fleisch wie durch Papier und riss dann den Mann, der ihn geführt hatte, nach vorne. Mit einem Stolperschritt fand er sein Gleichgewicht zwar wieder, aber schon streckten sich Hände und Arme nach ihm aus, zerrten an seinen Kleidern und seinem Haar und kratzten mit brüchigen Fingernägeln über sein Gesicht. Einer griff mit beiden Händen nach seinem Schwert, büßte dabei zwar sämtliche Finger ein, stieß aber so heftig gegen den Assassinen, dass er ihn auf die Knie warf. Der Mann schwang gedankenschnell sein Schwert und kappte die Beine des schrecklichen Angreifers dicht über den Knien, woraufhin dieser mit pendelnden Armen vornüberkippte und ihn unter sich begrub. Seine Kameraden wollten ihm sofort zu Hilfe eilen, doch da war der Mann schon unter einer fauligen Woge aus
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