Nekropole (German Edition)
rollte über die Schulter ab und kam gerade rechtzeitig auf die Füße, um mit einer von zwei gelb und blau gestreiften Gestalten zusammenzuprallen, die er damit von den Beinen riss. Der zweite Gardist war geistesgegenwärtig genug, im letzten Moment zurückzuweichen – was ihm ungefähr eine halbe Sekunde mehr einbrachte, die er stehenblieb, bevor Abu Dun ihn mit einer fast beiläufig erscheinenden Bewegung ebenfalls zu Boden fegte.
Möglicherweise war das keine sehr kluge Taktik, denn von allen Seiten stürmten nun weitere Soldaten mit gezogenen Waffen heran. Eilig setzte Andrej seinen Weg die Treppe hinab fort. Ali und die anderen hatten ihn mittlerweile wieder ein- und überholt, wie er erst jetzt bemerkte, und der Abstand wurde sogar noch größer. Er hatte sich immer noch nicht ganz erholt. Sein Rücken schmerzte unerträglich, und auch sein Fuß meldete sich wieder. Er biss die Zähne zusammen und strengte sich an, um nicht noch weiter zurückzufallen.
Schreie und rasende Schritte wehten ihnen von unten entgegen, und auch der chaotische Lärm von draußen war nun wieder zu hören. Alles floss ineinander und wurde unwirklich, und noch während er lief, rutschte die Welt immer schneller in eine Richtung, in der sie nur noch aus Schmerz und Gier bestand.
Genau in diesem Moment begann Abu Dun die Treppe hinaufzustürmen, Ayla entgegen. Im allerletzten Moment schlug das Mädchen einen Haken, doch Abu Duns Reaktion war flinker als die ihres Bruders und des Hauptmanns der Garde. Mit einer Behändigkeit, die niemand einem Mann seiner Statur zutrauen würde und die selbst Andrej immer wieder überraschte, machte er einen Schritt zur Seite und streckte die Hand nach ihr aus. Irgendwie gelang es Ayla trotzdem beinahe, ihm doch zu entwischen, sodass er noch einen weiteren Stolperschritt zur Seite machte und Ayla zwar an der Schulter packen konnte und eisern festhielt, aber unsanft auf beide Knie fiel und gleich darauf nach vorne und auf die Treppe stürzte, als sich drei Männer in gelb und blau gestreiften Uniformen auf ihn warfen und ihn und das Mädchen unter sich begruben.
Unter normalen Umständen wäre es Abu Dun ein Leichtes gewesen, die drei Männer abzuschütteln, doch er hielt Ayla fest umklammert, während er mit der anderen Hand versuchte, die Angreifer wegzustoßen, wobei er aber nur einen Bruchteil seiner enormen Kraft einsetzte, sichtlich darauf bedacht, niemanden zu verletzen. Und hinter ihm stürmten bereits weitere Männer heran, nicht nur mit ihren obligaten Hellebarden bewaffnet, sondern anscheinend auch wild entschlossen, sie einzusetzen.
»Aufhören! Alle!« Altieris Stimme schnitt wie ein Peitschenknall durch den Raum, und die Gardisten schraken zurück. Auch einer der Männer, die Abu Dun festzuhalten versuchten, zog sich hastig zurück, die beiden anderen überzeugte Abu Dun mit einem (für seine Verhältnisse) sachten Schubs seiner eisernen Hand davon, es ihnen gleichzutun.
Ayla nutzte die Gelegenheit, um sich loszureißen, doch sie kam nur einen Schritt weit, bis sie einer der Männer packte und so entschlossen festhielt, dass ihr alles Strampeln und Umsichschlagen nichts half.
»Und haltet das Mädchen fest! Aber tut ihr nicht weh!« Die Stimme, die diese Worte rief, war nicht einmal annähernd so scharf wie die des Kardinals, aber ihre Wirkung auf die Soldaten war noch einmal ungleich dramatischer. Mittlerweile war die Zahl der Männer auf ein knappes Dutzend angewachsen, und alle, ausnahmslos, erstarrten für einen Augenblick und sahen den Mann an, der zwei Stufen über Abu Dun stehengeblieben war und die Arme gehoben hatte, um seinen Worten zusätzliches Gewicht zu verleihen.
Es war Ali, der die Kopfbedeckung und den Mantel des reichen arabischen Händlers irgendwo auf dem Weg hierher abgestreift hatte. Darunter trug er ein schlichtes schwarzes Gewand, das von einer blassvioletten Schärpe zusammengehalten wurde, und als einzigen Schmuck ein schlichtes Kreuz an einem einfachen Lederband.
Aber es war auch nicht sein Gewand gewesen, das sie angestarrt hatten. Es war sein Gesicht.
Vor ihnen stand der verschollene Camerlengo, der nicht nur ihr aller Kommandant und Vertrauter ihres verstorbenen Herrn gewesen war, sondern auch der uneingeschränkte Herrscher über sie und den gesamten Vatikan.
Dann fiel Andrej auf, dass die Männer gar nicht mehr Ali anstarrten, wie im ersten Moment der Überraschung, sondern den weißhaarigen Mann, der zwei oder drei Stufen über dem Camerlengo stand
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