Nekropole (German Edition)
das gewaltige Türblatt nun unter einem besonders heftigen Schlag, der es auf einem Drittel seiner gesamten Höhe spaltete, und eine ziellos tastende graue Hand mit nur noch drei statt fünf Fingern erschien in dem gezackten Riss. Andrej reagierte ohne nachzudenken und verdrehte den hereingrabschenden Arm dergestalt, dass er den Riss damit zugleich verschloss, was ihnen eine weitere Gnadenfrist von einigen Sekunden verschaffte.
»Einen Riegel!«, brüllte Abu Dun. »Wir müssen diese Tür sichern! Bringt etwas, um sie zu blockieren!«
Tatsächlich stürmten weitere Gardisten heran, um sich mit Schultern und Händen gegen die Tür zu stemmen, und zwei andere schleppten von der Kraft der schieren Todesangst beseelt eine schwere Marmorbank heran, die dem Orkan aus lebendig gewordenem Tod genauso wenig standhalten würde wie irgendetwas anderes. So massiv das gewaltige Portal auch wirkte, würde es doch bald unter dem Ansturm der Menge nachgeben. Und Andrej konnte spüren, wie sie wuchs. Sie mussten hier weg.
Sofort.
»Wir müssen hier weg!«, rief Abu Dun, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Sofort!«
»Er hat recht«, pflichtete ihm Ali bei. »Sichert diese Tür, und dann verschwinden wir von hier.«
Niemand reagierte. Die Männer starrten ins Leere, als würden sie nicht begreifen, was sie da gerade mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Händen getan hatten … und wie auch?
»Holt meine Männer«, befahl Ali an Ruetli gewandt, der hinter Clemens und Altieri stand, statt in den Kampf einzugreifen. Wenn sein Gesicht überhaupt noch einen Rest von Farbe gehabt hatte, so war er nun daraus gewichen. Seine Hände umklammerten die Hellebarde so fest, als wäre sie der einzige Halt, der ihn davor bewahrte, endgültig in den Wahnsinn abzugleiten.
»Und unsere Waffen«, fügte Andrej hinzu.
»Und wenn es geht, schnell«, schloss Abu Dun.
Doch Ruetli rührte sich nicht, sondern starrte weiter ohne zu blinzeln auf das entsetzliche Bild, das sich unter ihm am Fuß der Treppe ausbreitete wie die Woge einer grässlichen Flut, die an einem Riff zerbarst. Erst, als Altieri Alis Worte wiederholte und ihm auffordernd zunickte, riss er sich los und rannte die Treppe hinauf, immer zwei oder auch drei Stufen auf einmal nehmend und beständig schneller werdend. Andrej war nicht sicher, dass er zurückkommen würde, aber er hoffte es.
Ayla nutzte die Gelegenheit zu einem weiteren Fluchtversuch, den Clemens auch jetzt wieder unnötig grob – wie Andrej fand – vereitelte, und für eine Weile kehrte nervöses Schweigen ein – wenn auch keine Stille, denn durch die Tür drang noch immer das Toben der Menge, und die eine oder andere Faust schlug auch noch immer gegen das geborstene Holz. Aber es war nur eine Atempause, einige wenige Atemzüge, wenn sie Glück hatten.
»Was … geht dort draußen … vor?«, stammelte einer der Soldaten. »Was sind das für … für Kreaturen?«
»Sie töten die Menschen«, fügte einer seiner Kameraden hinzu. »Das ist der Jüngste Tag. Das Ende ist …«
»Halt den Mund!«, fiel ihm Ali ins Wort. Er musste beinahe schreien, um gehört zu werden. »Ihr werdet alles erfahren, aber so dummes Zeug zu reden richtet nur Schaden an!«
»Der Camerlengo hat recht«, sagte Altieri. »Wir müssen die Nerven behalten.« Er wandte sich mit einem flehenden Blick an Clemens. »Das ist doch so, oder?«
»Wir müssen nach unten«, antwortete Clemens, ohne auf seine Frage zu antworten. »In die Nekropole!«
Der große Türflügel wurde erneut einen Spalt aufgedrückt, und zwei weitere Männer eilten hinzu und stemmten sich mit verzweifelter Kraft dagegen – was dem Versuch gleichkam, eine Springflut mit bloßen Händen aufzuhalten.
»Es ist unsere einzige Chance«, fügte Clemens hinzu. Er klang ein wenig verzweifelt, fand Andrej, auch wenn er, jetzt wieder auf vertrautem Boden, eben jene Mischung aus Selbstbewusstsein und Würde ausstrahlte, die man von einem Mann wie ihm erwarten mochte. Andrej erging es jedenfalls so.
»Dort draußen sterben Menschen, Herr«, wandte einer der Männer in den gelb-blauen Uniformen ein. »Wir … wir müssen ihnen helfen!«
»Habt ihr das nicht schon getan?« Abu Dun wies mit dem Kopf auf die Leichen, inmitten derer der Soldat stand. »Ihr habt Männer nach draußen geschickt, nehme ich doch an?«
»Fünf.« Der Soldat nickte. »Ja.«
»Das war sehr tapfer«, sagte Abu Dun höhnisch und deutete erneut auf einen der toten Angreifer. »Jetzt sind es fünf
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