Nekropole (German Edition)
und sich nicht die Mühe gemacht hatte, die Kapuze seines schwarzen Mantels wieder hochzuschlagen, um sein Gesicht zu verstecken.
Clemens.
Einer der Gardisten sank auf die Knie und ließ seine Hellebarde zur Seite kippen, weil er beide Hände brauchte, um sich zu bekreuzigen. Das helle Klirren, mit dem die Lanze auf den harten Marmorfliesen aufschlug, war wie ein Signal für die übrigen Männer, einer nach dem anderen auf die Knie zu sinken.
»Nicht jetzt«, sagte Clemens mit seiner leisen, aber sehr klaren Stimme, die bis in den hintersten Winkel der großen Eingangshalle drang. »Ich maße mir nicht an, auch nur zu erahnen, was ihr jetzt empfindet, doch ich versichere euch, dass ich gute Gründe für das gehabt habe, was ich tun musste. Und ich muss noch mehr von euch verlangen. Stellt keine Fragen. Nicht jetzt, denn dafür ist keine Zeit. Wir alle sind in schrecklicher Gefahr. Diese ganze Stadt ist in Gefahr, denn der Teufel selbst ist auf die Erde heraufgestiegen, und er hat seine finsteren Horden mit sich gebracht, um uns zu verderben. Alles, was noch zwischen den Menschen dieser Stadt und der ewigen Verdammnis steht, seid nun ihr und eure Kameraden. Ich muss euch einfach bitten, mir noch ein letztes Mal zu vertrauen. So Gott will und wir am Ende dieser Nacht noch am Leben sind, werdet ihr alles verstehen.«
Andrej hatte vorher zu deutlich in den Gesichtern der anderen Männer gelesen, um wirklich davon überzeugt zu sein, dass diese wenigen Worte genügten, um Clemens’ Autorität über seine Garde wiederherzustellen. Und so war es auch. Zwei oder drei Männer begannen zu beten, aber die meisten starrten den tot geglaubten Papst nur aus aufgerissenen Augen an, in denen er nichts als eine quälende Mischung aus Entsetzen und Verständnislosigkeit las. Ganz offensichtlich hatte Altieri nur diejenigen Männer eingeweiht, die er mit zum Kolosseum genommen hatte … und warum auch nicht? Andrej hätte es wohl ganz genauso gehalten.
Das Schweigen hielt an, Sekunden, die sich zu einer Minute reihten, die Andrej wie die allerlängste seines Lebens erschien. Dann tat Altieri etwas, womit wohl nicht nur Andrej zuletzt gerechnet hätte: Er trat neben Clemens, zögerte kurz und sank dann neben ihm auf die Knie, um nach seiner Hand zu greifen und sie zu küssen. Clemens wirkte ein wenig überrascht, fast schon verdutzt, und Andrej war gewiss nicht der Einzige, dem auffiel, dass er vor lauter Überraschung um ein Haar die Hand zurückgerissen hätte. Aber er tat es nicht, und nach einem weiteren Augenblick stand Altieri wieder auf und wandte sich an die Soldaten.
»Gehorcht seiner Heiligkeit!«
Eine weitere Hellebarde schepperte zu Boden, doch Andrej begriff mit fast schmerzhafter Klarheit, dass weder Clemens’ noch Altieris Worte die beabsichtigte Wirkung zeigten. Nur ein einziger Mann stand mit einer heftigen Bewegung auf und nahm Haltung an, um zu zeigen, dass er seinem Herrn gehorchen würde, die anderen wirkten weiter unentschlossen. Jemand schluchzte auf.
Es war das Schicksal, das ihnen zu Hilfe kam.
Oder auch das, was Clemens gerade als Satans Heerscharen bezeichnet hatte.
Ein gewaltiger Schlag traf die geschlossene Doppeltür, und das Schreien und der Kampf- und Fluchtlärm von draußen wurden lauter. Einer der Männer riss die Hände wieder auseinander, um nach seiner Waffe zu greifen, kam aber nicht mehr dazu, denn die Tür wurde mit einem zweiten und noch gewaltigeren Schlag aufgesprengt und fegte ihn glatt von den Füßen, und durch die gewaltsam geschaffene Öffnung stolperten zwei, drei, vier blutüberströmte und halb zerfetzte Gestalten. Ein zweiter Gardist prallte entsetzt vor dem hereinflutenden Horror zurück und entging um Haaresbreite einem zuschnappenden Kiefer, sein Kamerad neben ihm hatte weniger Glück. Faulige Zähne schnappten wie eine Bärenfalle um seine Kehle, der höllische Angreifer warf den Kopf mit einem Ruck zurück und riss ihm den Kehlkopf in einer roten Fontäne aus Blut und spritzenden Knorpelstücken heraus. Der sterbende Mann stolperte zurück und brach langsam in die Knie. Ein zweiter lebender Toter stürzte sich auf ihn, riss den Mund so unmöglich weit auf wie eine Schlange, die den Unterkiefer aushakt, und biss ihm das komplette Gesicht ab.
Damit brach der Bann. Die Zeit lief weiter wie eine bis zum Zerreißen gespannte Stahlfeder, die endlich losgelassen wurde und in ihre ursprüngliche Form zurückschnappte, und eine regelrechte Explosion aus Gestalt gewordenem
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