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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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böse registrierte. Er wusste nicht, wie viel die Männer von dort aus sehen konnten, wo sie standen, doch es schien zu reichen, um alle Farbe aus ihren Gesichtern zu treiben.
    »Ruft Eure Männer zusammen, Hauptmann!« Altieri hatte seine Fassung immerhin weit genug zurückerlangt, um sich so hastig zu bekreuzigen, dass er sich um ein Haar den Zeigefinger ins Auge gerammt hätte. Mit der anderen Hand wies er auf Ruetli. »Schlagt Alarm! Ruft alle zu den Waffen!«
    Ruetli wollte auf der Stelle loseilen, doch Ali ergriff ihn blitzartig und so fest am Handgelenk, dass seine Mundwinkel vor Schmerz zuckten. »Das hätte keinen Sinn«, sagte er scharf. »Wer dort hinausgeht, ist tot! Ihr könnt sie nicht besiegen!«
    »Er hat recht«, sagte Clemens. »Waffen richten hier nichts aus. Alarmiert Eure Männer, Hauptmann, aber niemand geht hinaus! Schließt alle Türen und lasst niemanden herein! Ganz gleich, wen!«
    »Seid Ihr von Sinnen?!« Altieri zeigte nun mit beiden Händen hinter sich, wo in jedem Augenblick mehr Menschen starben. Mittlerweile hatte eine allgemeine Fluchtbewegung eingesetzt. Nur die allerwenigsten konnten wirklich gesehen haben, was da über sie kam, doch Kampfeslärm und gellende Angst- und Todesschreie waren immer ein gutes Mittel, Menschen die Flucht ergreifen zu lassen. »Wir müssen diesen Menschen helfen!«
    »Das können wir nicht, Emilio!« Clemens’ Stimme wurde beschwörend. »Ich flehe Euch an, lasst uns frei! Ich kann es beenden!«
    »Das ist Häresie!«, keuchte Altieri. Eben noch war er Andrej wie das Sinnbild von Willensstärke und Kraft vorgekommen, unbeschadet seines fortgeschrittenen Alters, jetzt wirkte er, als könnte er jeden Moment unter der Wucht dessen, was er erlebte, zusammenbrechen.
    »Es ist die Wahrheit«, sagte Ali. »Tut, was seine Heiligkeit sagt, Hauptmann! Oder muss ich Euch erst an Euren Eid erinnern?«
    Nein, das musste er nicht. Beinahe tat der Gardist Andrej leid. Ruetlis Gesicht verzerrte sich, als litte er unerträglichen Schmerz, und obwohl Andrej nicht zu den beiden anderen Soldaten hinsah, wusste er, dass er auf ihren Gesichtern dasselbe erblickt hätte – und wie sollte es auch anders sein? Ihre Welt und alles, was sie bisher geglaubt und für unveränderlich und wahr gehalten hatten, brach angesichts des Häresie-Vorwurfs von Altieri gerade in Stücke.
    Die Antwort auf die Frage, wie sich Ruetli und seine beiden Kameraden entschieden hätten, sollte Andrej nie bekommen. Es war Ayla, die den Männern die Entscheidung abnahm.
    Zweimal schon hatte sie vergeblich versucht, sich von Alis Hand loszureißen, nun probierte sie es zum dritten Mal, vielleicht ja in der Hoffnung, dass ihr Bruder durch die kleine Kraftprobe mit Ruetli hinlänglich abgelenkt war. Als Ali nachfassen wollte, nutzte sie die Bewegung geschickt und mit solch unerwarteter Kraft, dass er um ein Haar nach vorne gerissen worden wäre und ganz instinktiv einen halben Ausfallschritt machte. Mehr brauchte Ayla nicht. Mit einer Gewandtheit, die offenbar selbst ihren Bruder überraschte, duckte sie sich unter seinen nach Balance rudernden Armen hindurch und rannte zur Tür. Ruetli versuchte, ihr den Weg zu verstellen, doch das Mädchen wich ihm ohne die geringste Mühe aus, riss die Tür auf und flitzte wie ein schwarzer Derwisch hindurch. Draußen wurden überraschte Rufe laut. Und endlich – und viel zu spät – schüttelte Andrej seine Verblüffung ab und stürmte hinter ihr her, unglückseligerweise im gleichen Moment wie Abu Dun, sodass sie in der engen Balkontür zusammenstießen und sich für eine gute Sekunde regelrecht darin verkeilten, bis sich Abu Duns überlegene Masse und Körperkraft schließlich durchsetzten und sie gleichzeitig und zusammen mit dem zersplitternden Türrahmen in den Raum stolperten, Abu Dun mit einem gewaltigen Schritt, mit dem er nahezu die Hälfte des Zimmers durchquerte, und Andrej mit einem ungeschickten Stolpern, mit dem er sein Gleichgewicht zu halten versuchte. Zu allem Überfluss prallte er auch noch gegen einen der Soldaten, der nicht nur zusammen mit ihm zu Boden ging, sondern in seinem Schrecken auch seine Armbrust abfeuerte. Der Bolzen flog so dicht an Alis Gesicht vorbei, dass er vermutlich den Luftzug spürte, und bohrte sich mit einem dumpfen Knall in etwas, das mit einem halben Atemzug Verzögerung und einem lauten Klirren zerbarst.
    Zornig rappelte sich Andrej auf und sah gerade noch, wie Abu Duns wehender Mantel durch die Tür verschwand, während

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