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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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veranstalten, ein paarmal zu bellen, zurückzukommen und zufrieden zu wirken. Automatismen. Hunde bellten, um Eindruck zu schinden, Männer machten sich lächerlich, um Frauen zu beeindrucken. Mir war nicht danach, mich an diesem Spiel zu beteiligen.
    Als ich auf dem Rückweg an der Villa vorbeikam, wanderte mein Blick wieder zu Neles Fenster. Ich weiß nicht, ob es der Vollmond war, aber zum dritten Mal an diesem Tag dachte ich an sie. Das Fenster war immer noch genauso dunkel wie auf dem Hinweg, und zum ersten Mal seit langem schwang in dieser Erkenntnis die alte Enttäuschung mit. Kein flüchtiger Stich, sondern das alte Verlustgefühl. Es war lange her, seitdem ich so empfunden hatte, und ich hatte dieses Gefühl nicht vermisst. Es erinnerte mich daran, wie wir uns am Ende gestritten hatten, als sie dieses verdammte Modelcasting gewann. Es erinnerte mich daran, dass ich nicht mitgegangen war, als sie loszog, die Welt zu erobern. Es erinnerte mich an das Grundvertrauen, das wir hatten. Alle Beziehungen, die ich nach ihr führte, gingen an den Vergleichen zu Grunde. Ich hatte immer das Gefühl, dass etwas fehlte. Ein Zweifel, der jede Beziehung effektiver beendete als ein Schuss ins Herz.

    Mor schlief vor dem Fernseher, in dem eine Talkmasterin verbissen versuchte, einem Politiker eine Antwort abzuringen. Auf dem Tisch stand eine Weinflasche. Es war nicht die von vorhin. Einerseits war ich froh, dass Mor von den Schmerzmitteln runter war, die sie manchmal komplett ausgeschaltet hatten, andererseits war ich genügend Alkoholikern im Außendienst begegnet, um zu wissen, dass Alkohol keine Bagatelle war. Wer jahrelang zu viel trank, verlor erst den Faden, dann den Respekt und dannmeistens noch den Verstand. Vielleicht sollte ich es ansprechen, aber ich wollte auch nicht, dass sie heimlich trank und sich schuldig dabei fühlte. Sie sollte das Leben genießen. Das hatte sie verdient.
    Der Politiker schlug eine weitere Minute tot. Ich ließ den Apparat laufen, füllte Mors Glas, brachte die Flasche in den Kühlschrank, duschte und ging in die Garage, um mir den Rollstuhl vorzunehmen.
    Als ich ihn mir ansah, verlor ich die Lust. Keine Ahnung, wo Mor sich wieder herumgetrieben hatte. Um die Radnaben und die Speichen hatten sich lange Halme geschlungen, die die Räder völlig blockierten. Auch wenn ich ihn wieder hinkriegen würde, war es bloß eine Frage der Zeit, bis er wieder kollabierte. Das Ding war ein normaler Rollstuhl, an dem Rokko und ich einen schwindsüchtigen Hilfsmotor angebracht hatten. Man konnte damit zwar über die Straße rollen, aber um mit November durchs Gelände zu sausen, brauchte man ein anderes Kaliber. Eines wie das in Rokkos Garage. Er hatte ein wenig daran herumgeschraubt – ich hoffte, es würde Mor nicht wie der Besatzung der Challenger ergehen, wenn sie das Ding startete.
    Ich ging wieder rein, fütterte November, genehmigte mir ein Bier und setzte mich in den Sessel neben Mor. Die investigativen Angriffe der Talkmasterin prallten weiterhin an der politischen Rhetorikwand ab. Niemand schien es zu stören. Mor schlug die Augen auf und gähnte.
    »Wie spät?«
    »Kurz vor zehn.«
    Sie leckte sich über die Lippen. Ihr Blick huschte zu dem vollen Glas.
    »Ich hab Schröder beim Laufen getroffen. Er joggt. In kurzen Hosen. Ich glaube, er hat ’ne Midlife-Crisis.«
    »Hatte er schon immer.«
    Sie nahm das Glas und nippte dran. Sie nippte noch mal, dann nahm sie einen tiefen Schluck. Als sie das Glasabstellte, war es halb leer. Wir schalteten passenderweise um auf eine Sendung über gesunde Ernährung. Die Fenster standen sperrangelweit offen. Insekten mühten sich an den Fliegengittern ab, während ein gut gelaunter Moderator uns erklärte, dass man ist, was man isst.
    Als Rokko draußen hupte, holte ich die Weinflasche ein letztes Mal, um Mors Glas aufzufüllen, und küsste sie zum Abschied.
    »Warte nicht auf mich.«
    »Gut, und wenn du die Neue siehst …«
    »… erst schwängern, dann reden.«
    Sie lächelte.
    »Das ist mein Sohn.«

    Im Schaukelstuhl empfing uns der übliche Eau-de-Dorfkneipengeruch, eine Mischung aus Qualm, verschüttetem Bier und abgestandener Luft. Vorne waren alle Tische voll, die Theke quoll über vor Stammgästen. Überall sah man die Zeichen langer, auswegloser Nächte. Im hinteren Raum stand der Pokertisch, an dem das Revier die Gehälter neu verteilte. Wie immer saß Gunnar, der Wirt, an seinem Ecktisch, von dem aus er den Raum überblickte. Er hatte das Gesicht

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