Nele Paul - Roman
du geschlafen hast, zur Villa gegangen ist, um das Licht zu löschen. Dabei ist sie umgekippt.«
Mor richtete sich auf.
»Wie meinst du das – umgekippt?«
»Sie lag auf dem Boden und hatte einen Schock.«
Sie musterte mein Gesicht aufmerksam.
»Bist du sicher?«
»Nein, weißt du, sie legt sich einfach so nachts auf den Küchenboden und wickelt sich in Müllsäcke ein.«
Mor klopfte mit ihrem Handknöchel auf den Tisch und sah mich streng an. Ich winkte verzeihend und füllte dann Kaffee in die Tassen.
»Entschuldige, ich meinte, ich habe genug Menschen mit einem Schock gesehen. Sie hatte definitiv einen.«
»Aber wieso denn?«
»Keine Ahnung. Zuerst dachte ich, die Bande hätte sie erschreckt, aber was sollte die auf einer Baustelle? Da gibt’s nichts zu holen. Macht keinen Sinn. Vielleicht war es die Situation – nach Einbruch der Dunkelheit allein in ihrem Elternhaus …«
Mor musterte mich nachdenklich und nickte dann.
»Wir sollten sie in der Villa nicht alleine lassen, da hat sie neulich schon geschwächelt.« Sie sah mich besorgt an. »Wie geht es ihr heute?«
»Gut«, sagte ich und wischte die Kaffeespritzer vom Herd, die die Espressokanne hinterlassen hatte. »Sie erinnert sich überhaupt nicht.« Ich warf den Lappen auf die Spüle und dachte an Peter, einen Kollegen, mit dem ich auf der Polizeischule gewesen war. Immer wenn er Jägermeister trank, hatte er einen kompletten Filmriss. Egal ob einer oder zehn – Jägermeister hieß Filmriss. Vielleicht vertrug Nele keinenWein. Früher hatte sie zwar alles vertragen, aber vielleicht änderte sich so etwas mit der Zeit, vielleicht hörten Models ja nicht nur auf zu essen.
»Wie viel habt ihr eigentlich gestern getrunken, als ich weg war?«
Mors Blick wurde dunkel.
»Bitte?«
»Als ich gestern rauslief, wart ihr bei der zweiten Flasche. Wie viel habt ihr dann noch getrunken?«
Sie musterte mich düster.
»Zählst du jetzt die Flaschen?«
»Ich bringe das Altglas weg, okay?«
Sie starrte mich einen Augenblick lang an, bevor sie ihren Blick senkte.
»Ich weiß nicht. Vielleicht noch eine. Wir saßen noch vor dem Fernseher …«
»Erträgt man nicht nüchtern, was? Ja, okay, tut mir leid, dass ich nerve, aber ich dachte, dass sie vielleicht zu viel getrunken hat …«
Ich schnappte mir die Tassen und wollte zur Treppe.
»Nun, warte doch mal«, sagte Mor. »Hast du einen Arzt gerufen?«
»Nein, sie war gleich wieder ansprechbar.«
Ich machte wieder den Ansatz loszugehen.
»Warte. Sag mir jetzt bitte, was genau passiert ist.«
»Ich fand sie auf dem Boden. Sie hatte die Augen auf, reagierte aber nicht. Hoher Puls, kalter Schweiß. Ich brachte sie hierher, plötzlich war sie wieder da und wusste von nichts.«
Mor schob Krümel auf ihrem Teller zusammen und dachte drüber nach.
»Und es geht ihr gut?«
»Ja«, sagte ich. »Schau sie dir an, sie kommt gleich runter.« Die Antwort machte sie nicht glücklich, aber sie sagte nichts, als ich die Tassen die Treppe hochbalancierte.Mittlerweile zweifelte ich fast selbst daran, dass es passiert war.
November lag immer noch auf dem Bett und ließ sich verwöhnen. Ich machte ihm ein Zeichen, dass er runtergehen sollte. Er blieb liegen. Ich gab ihm das Zeichen noch mal. Er kämpfte sich seufzend auf die Beine und sprang vom Bett. Nele setzte sich auf, steckte sich die Kissen in den Rücken und lehnte sich gegen die Wand. Ich setzte mich vorsichtig auf die Bettkante und reichte ihr eine Tasse, ohne etwas zu verschütten.
»Danke.«
»Gern.«
Wir sahen uns in die Augen und tranken ein paar Schlucke. Draußen nahm der Tag zu, und die morgendliche Wärme breitete sich im Schlafzimmer aus. Nele war nichts anzumerken. Eine schöne, verschlafene Frau, die im Bett saß und den ersten Kaffee genoss. Die Decke war etwas heruntergerutscht und hatte eine Brust freigelegt. Sie ertappte mich beim Gucken. Ihre Augen funkelten belustigt.
»Da scheint dich die Gewichtszunahme nicht zu stören …« Ich zuckte lässig mit einer Schulter.
»Ach, weißt du, Miss Piggy hatte auch einen Freund.«
»Boah!« Sie lachte. »So was hätte ich dir früher mal sagen sollen!«
»Wie ist es eigentlich, als Model dick zu werden? Platzt da die Haut?«
Sie verschüttete ein paar Tropfen Kaffee auf dem Bettlaken. »Jetzt reicht’s!«, lachte sie. »Sonst reden wir mal über deinen Sechzehnten.«
Ich grinste. An meinem sechzehnten Geburtstag hatte ich schwer gelitten. Nele hatte mich ins Bett bringen müssen, und dort
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