Nele Paul - Roman
hatte ich mich übergeben. Sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als es zu fotografieren. Die Fotos bekam ich stückchenweise über die nächsten Monate zugesteckt. Wir schlürften Kaffee, und es war, als hätte es diese neunJahre nie gegeben.
Nele warf einen Blick zum Fenster.
»Wird wieder sauheiß. Heute nehmen wir uns den Garten vor.«
»Dann nimm dir auch gleich Anita vor.«
»Ich glaube, die brauchen wir uns nicht vorzunehmen, die haben sich gestern Abend wirklich wiedervereinigt.«
»Das dachte ich vorgestern schon.«
»Komisch, dass die immer noch Lust auf dieses Spielchen haben.«
»Ich glaube, da hat nur noch einer Lust drauf.«
Sie sah mich über den Tassenrand hinweg an.
»Das mochte ich immer an uns. Es war alles so einfach.«
Mein Magen sackte ein paar Etagen ab, wie in der Achterbahn. Vielleicht sollte ich einen Vergnügungspark mit ihr eröffnen. Schauen Sie dieser Dame in die Augen, aber schnallen Sie sich gut an! He, das wäre viel billiger, als so ein riesiges Teil aufzubauen. Vielleicht könnte ich zusätzlich noch einen dunklen Raum mit Schröder einrichten. Fassen Sie das an, und erraten Sie, was es ist! Dass ich da nicht früher drauf gekommen war.
Ich kam wieder zu mir, als ich versuchte, aus meiner leeren Tasse zu trinken, und warf einen Blick auf die Uhr.
»Ich muss los. Kannst du mit Mor frühstücken und ein Auge auf sie werfen? Es geht ihr nicht so gut.«
Nele sah mich überrascht an.
»Was hat sie denn?«
Ich zwang meinen Blick, sich nach den Laufschuhen umzuschauen.
»Die Vorbereitungen der Party, Schmerzen von der Prothese und … na ja, vielleicht die Wechseljahre. Sicher nichts Schlimmes, aber …« Ich zuckte die Schultern. »Vielleicht kannst du mal nachhaken. Ist sicher besser, wenn eine Frau das macht.«
»Mach ich.«
Sie gähnte, stellte die Tasse weg und streckte sich. Ihr Bein rutschte unter dem Laken hervor und sah warm und einladend aus. Für einen Augenblick überlegte ich, mich wieder aufs Bett fallen zu lassen und für immer liegen zu bleiben. Ich stellte mir vor, wie Schulklassen und Touristengruppen an unserem abgesperrten Bett vorbeigeführt wurden. Boah, schau mal, die leben ja noch! Ja, die haben sich vor fünfzig Jahren da hingelegt, um für immer zusammen zu sein. Oh, wie romantisch! Darum sind sie ja auch das Liebespaar des Jahrhunderts. Und die stehen nie wieder auf? Nein. Und was machen die da gerade? … Kommt Kinder, schnell, wir müssen weiter …
Im letzten Moment fand ich die Laufschuhe und schlüpfte mit beiden Füßen hinein.
»Also – kümmerst du dich um sie? Ich lauf mir kurz den Muskelkater weg.«
Als ich aufstand, hob November den Kopf. Ich bedeutete ihm dazubleiben. Ich gab Nele einen Kuss, und als ich an der Tür stand, gab ich November das Zeichen. Er schaute mich verwirrt an. Erst beim zweiten Mal reagierte er und sprang ins Bett, wo Nele ihn in Empfang nahm. Jahrelange Disziplin und Erziehung gingen mal eben den Bach runter. Es würde ewig dauern, ihm das wieder abzugewöhnen. Solche Tage gab’s.
In der Küche empfing Mor mich mit einem fragenden Blick. Vor ihr stand ein Teller mit Lachstoast und selbst gemachter Remoulade. Jedes Mahl ein Festmahl. Sie musterte meine Aufmachung.
»Seit wann läufst du vor der Arbeit?«
»Nur eine kleine Runde. Nele kommt gleich zum Frühstücken runter. Ich hab ihr gesagt, dass sie sich um dich kümmern soll, weil es dir heute nicht so gut geht. Du hast Stumpfschmerzen und die Wechseljahre.«
Sie runzelte die Stirn. Ich lief aus der Tür. Mir folgten weder Küchenmesser noch rohe Eier, aber ich wusste, sie würdemir die Wechseljahre heimzahlen. Das war derzeit nicht mein größtes Problem.
Ich trabte den Hügel hoch und näherte mich dem Haus wie einem Tatort. Ich teilte das Terrain in kleine Zellen auf und untersuchte jede sorgfältig. Ich entdeckte nichts Ungewöhnliches. Die Reifenspuren von Bennis Benz und Maximilians Sportwagen. Die breiteren Abdrücke von Rokkos GT. Dazu die Mofareifen der Kids und die Spuren des LKW, der den Container geliefert hatte. Die Baustelle nach verräterischen Fußspuren abzusuchen schien sinnlos, also überprüfte ich die Tür. Sie stand immer noch offen, so wie ich sie in der Nacht zurückgelassen hatte. Ich entdeckte keine Einbruchspuren, also ging ich ins Haus und machte dort weiter. Die Fenster waren noch verrammelt. Ich durchsuchte Wohnzimmer, Bad, Küche und fand nichts, aber immerhin knipste ich endlich das verdammte Licht aus.
Als ich
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