Nele Paul - Roman
Latschen, bevor wir gespielt haben, ja?«
»Mach dir lieber Sorgen um deinen linken Fuß. Die Hi-Hat klang vorhin wie ein Epileptiker auf Strom.«
»Und du hast gespielt wie ein Bombenleger: Nehm ich diesen Draht, nee, halt, ich nehm den anderen …«
Ich wedelte mit dem Glas vor seinem Gesicht herum. Er seufzte und nahm es an sich.
»Aber nur noch einen.«
»Klar.«
Ich klebte an meinem vierten Glas wie einer dieser Aquarienfische, als Simone den Garten betrat. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid, eine winzige Handtasche und Fick- mich-Schuhe. Noch während sie Mor begrüßte, warf sie mir einen Blick rüber und tat dann, als würde sie mich nicht sehen. Prima.
Sie plauderte ein bisschen hier, ein bisschen da und kam dabei total unauffällig näher, bis sie plötzlich die Tarnung aufgab, auf mich zuschoss wie ein zielprogrammierter Marschflugkörper und viel zu nah vor mir stehen blieb.
»Na, wie geht’s?«
Ich trat einen Schritt zurück.
»Gut – und selbst?«
»Gut.«
»Fein.«
Nele düste mit einem leeren Tablett vorbei, dabei streifte sie meinen Arm leicht. Ich bekam eine Gänsehaut. Simone schaute ihr nach.
»Sie ist also wieder da.«
»Ja.«
»Ging ja schnell mit euch.«
»Neun Jahre?«
Sie schien mich nicht zu hören.
»Sie hat zugenommen«, murmelte sie. Es klang zufrieden. Sie sah mich an. »Und, macht dein kleines Model auch die ganzen ungezogenen Sachen? Du weißt schon …«
»Hör auf damit.«
»Womit? Ich sag doch nur, wie es war.«
»Du wusstest, dass es nur für einmal war.«
»Wieso haben wir es dann zweimal gemacht?«
Sie stieß die Luft verächtlich durch die Nase aus und stolzierte hoch erhobenen Hauptes in den Garten. Ihr Hintern spannte sich unter ihrem Kleid, und ich wusste, dass sie später noch was abliefern würde. Drama, Konflikte, Verletzungen und Schuldzuweisungen – die Hälfte meinerEinsätze im Außendienst resultierte daraus. Ich hätte die Finger von ihr lassen sollen, aber das musste man mal einem Mann sagen, der ein halbes Jahr keinen Sex gehabt hatte. Herrje, war das Ganze lange her. Letzte Woche. Damals, als Nele noch nicht da war.
In diesem Moment sauste Nele wieder an mir vorbei. Ihre Wangen glühten, in ihrem Sommerkleid wirkte sie süß und frisch wie eine überdrehte Sechzehnjährige. Ich bestellte einen Punch und grinste wahrscheinlich wie ein Trottel, während ich ihr nachsah. Als sie mir das Glas brachte, nahm ich ihr das Tablett ab, drückte es Schröder in die Hände, packte ihren Arm und marschierte los.
»Hey, ich muss arbeiten!«
Ich ignorierte ihren Protest und zog sie durchs Gebüsch in den hinteren Teil des Gartens.
Als wir vom Garten aus nicht mehr zu sehen waren, drückte ich Nele gegen eine mannsdicke Eiche und legte los. Ich hatte gerade ihre Zunge im Mund und eine Hand unter ihrem Kleid, als sich jemand hinter uns räusperte. Nele erstarrte und sah mir über die Schulter. Ich drehte meinen Kopf. Zwei Bäume neben uns saß ein großer, runder alter Mann in einem hellen Sommeranzug auf der Panoramabank. Doktor Nissen, unser Hausarzt. Er schaute demonstrativ nach oben in die Baumwipfel.
»Ich wollte nicht stören, aber ich wollte auch nicht wieder nach vorne gehen. Manchmal muss man Entscheidungen treffen, kann ich euch sagen.«
Ich stellte mich so, dass ich Nele vor seinen Blicken schützte, und streichelte noch mal schnell über ihren Bauch. Für solche Finessen hatte sie keine Zeit, sie ordnete ihre Kleidung hastig und versuchte, dabei in Deckung zu bleiben. Ich warf einen Blick hinüber zu unserem Gast, der immer noch wegschaute, obwohl er uns beide schon in intimeren Situationen gesehen hatte. Doktor Nissen hatte mich zur Welt gebracht und dann später durch sämtlicheKinderkrankheiten und so manche Jugendsünde begleitet. Nach dem Tod seiner Frau hatte er die Praxis aufgegeben und sich zur Ruhe gesetzt. Er kannte mich als Baby, er kannte Mor mit zwei Beinen, er hatte sogar Neles Mutter gekannt. Er war schon immer da gewesen.
Nele stieß mich in den Rücken.
»Tu was …!«
Ich trat vor und verdeckte sie endgültig vor den Blicken, die er nicht warf.
»Doktor Nissen. Schön, dass Sie da sind. Ich hab Sie gar nicht kommen sehen. Wie geht es Ihnen?«
Hinter mir raschelte Kleidung.
»Gut, gut«, sagte er und senkte sein Gesicht so weit, dass er mich anschauen konnte. Hinter den Gläsern seiner Nickelbrille funkelten seine Augen vergnügt. Die weißen Raupen über seinen Augen versuchten sich zu vereinigen. »Hier
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