Nele Paul - Roman
oben ist wirklich der beste Ort für ein Sommerfest. Die Aussicht ist ja wunderbar. Ihr wollt das Grundstück verkaufen?«
»Ja.«
»Tja, wenn meine Ersparnisse das zuließen, würde ich zuschlagen. Alleine für diesen Ausblick.« Er streckte einen Arm aus und schüttelte den Kopf. »Diese Weite … Das ist fast, wie am Meer zu sitzen.«
»Sie könnten eine Million anzahlen und den Rest mit Behandlungen abstottern.«
Er grinste.
»Und, wie geht’s dir sonst so, Paul?«
»Gut.«
»Deiner Mutter offensichtlich auch. Wie läuft es denn mit der Prothese?«
»Geht so, aber immerhin hat der Stumpf sich seit zwei Jahren nicht mehr entzündet.«
»Ah, gut.«
Wir schauten uns an. Ich spürte immer noch NelesBewegungen im Rücken. Ich hatte eigentlich nur ein bisschen an ihrem Kleid herumgefummelt, fand ich, aber anscheinend musste alles komplett neu justiert werden. Eine unruhige Stille breitete sich aus. Nissen half mir.
»Was macht denn – wie hieß er noch – der verrückte Hund?«
»November«, sagte ich.
»No-vem-ber!«, lachte er. Es klang, als würde man im Keller Möbel rücken. »Macht er noch diese komischen Sprünge?« »Dauernd.«
»Oh, gut.« Er kicherte und ließ seinen Kopf nach links kippen, als Nele neben mich trat und meine Hand nahm. Er verneigte sich im Sitzen. »Ist das nicht die kleine Nele? Du bist ja eine richtige Frau geworden.«
Er streckte seine Hand aus. Nele trat verlegen vor und nahm sie.
»Hallo, Doktor Nissen.«
»Schön bist du geworden«, sagte er und schüttelte ihr förmlich die Hand. »Eine richtige Augenweide.«
»Danke.« Sie strahlte ihn an. An ihrem geröteten Gesicht und ihren funkelnden Augen konnte ich erkennen, dass er sie bereits eingewickelt hatte. Eines der Dinge, die man nicht im Medizinstudium lernte.
»Tut mir leid, das mit Hans. Ich wäre gern auf die Beerdigung gegangen, aber die war im engsten Familienkreis?«
Nele nickte.
»Er wollte nur mich dabeihaben.«
Eine Pause entstand. Bevor sie peinlich wurde, stemmte Nissen sich auf die Beine und griff nach einem Gehstock, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Er war alt geworden, unser Landarzt.
»Ich habe gehört, ihr spielt heute Abend? Ach, ich wünschte, Marlies wäre hier. Sie hat deine Stimme geliebt, Nele. Ich habe damals auf einem eurer Konzerte mit ihr getanzt, bis uns die Füße schmerzten. O là là, war das ein Abend!Dieses Mädchen, sagte Marlies, Gott sei ihr gnädig, dieses Mädchen dort kann singen ! Das sagte sie, dann trat sie ihre Schuhe ab und tanzte barfuß noch ein Lied. Ich musste sie zum Wagen tragen.«
Nele strahlte ihn an. Er machte eine Kopf bewegung zu mir hin.
»Passt der da gut auf dich auf ?«
»O ja«, sagte Nele.
»Das will ich ihm aber auch geraten haben, sonst hole ich meine Tanzschuhe und lege mich noch mal ins Zeug.«
Wir grinsten uns an.
»Was machen Sie eigentlich so allein hier hinten?«, fragte ich ihn.
»Ach …« Er deutete mit dem Stock nach vorne zum Haus. »Da vorne wollen alle über Krankheiten mit mir reden.«
»Aua.«
Er lachte wieder.
»Ja, genau, aua.«
»Dann bleiben Sie doch hier. Wir gehen wieder nach vorne.«
»Genau«, nickte Nele. »Setzen Sie sich schön wieder hin, ich hole Ihnen einen Punch.«
»Klingt gut«, sagte er und ließ sich auf die Bank zurücksinken.
Wir gingen in den Garten zurück, wo Rokko nach mir rief. Mit zwei der Kids sausten wir den Hügel hinunter, um Servietten, Pfeffer und tausend andere Dinge zu holen, die Mor un-be-dingt sofort brauchte.
Als wir schwer beladen zur Villa zurückkamen, stand eine Frau am Eingang und begrüßte Mor. Ich erkannte sie von Weitem. Chantal. Ein furchtbarer Name für eine gute Frau. Sie war die Erste, mit der ich es nach Nele versucht hatte. Wir trafen uns fast ein Jahr regelmäßig, und die ganze Zeit wartete sie darauf, dass ich mich auf uns einließ. Ich hatte derweil gewartet, dass sich das Gefühl einstellte, das ichvon Nele und mir kannte. Wir hatten beide vergeblich gewartet.
Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und roch ihr Parfüm. Der Lavendelgeruch beschwor ein paar Bilder herauf.
»Hey, Chanti, schön dass du da bist.«
Sie lächelte wehmütig.
»Hallo, Paul«, sagte sie leise.
»Du siehst toll aus.«
»Danke. Du auch. Machst du Sport?«
»Ich laufe.«
»Steht dir.«
»Danke.«
Wir traten ein Stück beiseite und musterten uns in Ruhe. Wir hatten uns seit Jahren nicht mehr gesehen, und ich hatte vergessen, wie gut sie aussah. Wieder eine Frau, die mich
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