Nelken fuers Knopfloch
Aschenkegel seiner Zigarre ab und starrte in die rote Glut. »Ich glaube, daran war die ständige Anwesenheit von Fräulein Simpson schuld — und die Art, in der sich Michael um die junge Dame bemühte. Versuch doch einmal, dich in Manfreds Lage zu versetzen. — Du erfährst plötzlich, daß die Menschen, die du für deine leiblichen Eltern gehalten hast, es in Wahrheit gar nicht sind. Würdest du sie nicht auch mit neuen Augen ansehen? Würdest du nicht auch eine gewisse Zeit brauchen, um mit der neuen Situation fertig zu werden?«
»Du hättest es uns sagen müssen, wenn du es wußtest!«
»Warum? Damit ihr euch dem Jungen von der Fotografierseite zeigtet? — Michael ist ein guter Schauspieler — aber so gut ist er nicht, daß Manfred ihn nicht durchschaut hätte.«
»Ich verstehe...«, murmelte Heliane bedrückt.
»Nein, ich fürchte, du verstehst es falsch«, sagte Etienne herzlich. »Ich habe Manfred zu erklären versucht, daß Michael sich ab und zu ein Blümchen ins Knopfloch steckt, um sich jung und frisch zu fühlen. Und das hat er eingesehen...«
»Danke, Marcel!«
Etienne winkte fast unwillig ab: »Laß das, Heli! Ich habe dem Jungen nur erzählt, was ich für wahr halte. Ob es wahr ist, möchte ich jetzt fast bezweifeln. Du selber stehst in Manfreds Augen auf einem Sockel von Stahl und Beton, an dem es nichts zu rütteln gibt!« Er reichte ihr sein Taschentuch. »Komm, komm«, sagte er zärtlich, »putz dir die Nase und trockne dir die Augen. Das alles ist wahrhaftig kein Grund zu Tränen!«
»Und was soll ich jetzt tun?« fragte sie schnupfend.
»Nichts!« antwortete er fest. »Sei zu deinem Sohn Manfred auch in Zukunft genauso, wie du immer zu ihm warst. Bleib seine Mutter. Mehr kannst du nicht tun, und mehr verlangt er auch nicht. — Er bat mich übrigens, dir zu sagen, daß du es Thomas beibringen möchtest, damit Tom es nicht in Hartenstein von irgendeinem Dritten erfährt.«
Er richtete sich auf, denn er hörte die Stimmen der beiden Jungen, sie schienen einen hitzigen Streit miteinander zu haben.
»Wie heißt es in der Genesis? Das Dichten und Trachten der Menschen ist böse von Jugend an... Ich werde dir über dieses Kapitel bei Gelegenheit mehr erzählen.«
Die Jungen kamen über die Terrasse in die Halle gestürmt, vorneweg Thomas, der das zerrupfte und zertrümmerte Flugzeug wie einen toten Vogel in den Händen trug, und hinterdrein Manfred mit dem Radargerät, dessen Antennen wie die Fühler eines riesigen Käfers silbern in die Luft stachen.
»Der ist schuld, Mutti!« jammerte Thomas mit Tränen in den Augen und deutete mit dem Finger auf Manfred. »Mit seinem Scheißradargerät gibt er an wie drei nackte Affen...«
»Es war ein Windstoß, Mutti!« verteidigte sich Manfred. »Das Ding trudelte plötzlich ab und war nicht mehr aufzufangen!«
Helianes Hand, in der bedeutend mehr Kraft saß, als man darin vermutete, zuckte vor und hinterließ auf Toms Wange den brennenden Abdruck von vier Fingern. »Das ist für deine Ausdrücke, mein Sohn!« sagte sie zornig. »Und jetzt macht, daß ihr auf eure Zimmer kommt und euch wascht! Ihr starrt ja beide vor Schmutz! Und zieht euch gefälligst die Schuhe aus, bevor ihr ins Haus geht! Halb Sachrang klebt an euren Schuhsohlen!«
Der Knabe Thomas rieb sich das Gesicht, aber er murrte unentwegt weiter.
»Und wenn du weitermaulst«, ließ sich Etienne vernehmen, »fängst du von mir noch eine! Aber die schreibt sich von und zu Maulschelle!«
»Es war wirklich nicht meine Schuld, Onkel Marcel!« beteuerte Manfred. Er hielt seine Sandalen bereits in der Hand.
»Kein Mensch außer diesem kleinen Lümmel redet davon!« sagte Etienne, während Thomas auf Strümpfen davonschlich.
Manfred warf einen Blick auf die Kaminuhr, eine Pendule unter einem Glassturz, die Michael beim Einzug in das Haus von einem Produzenten verehrt worden war. Sie ging auf fünf.
»Wann kommt Poldi zurück?« fragte er.
»Dein Vater will ein paar Tage in der Stadt bleiben«, sagte Heliane, »ich fürchte, daß Poldi jetzt viel zu tun hat und erst Anfang nächster Woche wieder nach Sachrang zurückkommen wird.«
Der Junge nickte ihr etwas enttäuscht zu und ging davon.
»Poldi...!« murmelte Heliane, als er auf der Treppe verschwand.
»Ich ließ das Glas damals absichtlich fallen«, sagte Etienne, »als Michael den Jungen die Geschichte von dem Hundeasyl erzählte.«
Heliane sah ihn aus großen Augen an.
13
Pforten schminkte sich ab. Er hatte mit einer kurzen
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