Nelken fuers Knopfloch
warfen das Geräusch des Motors in dumpfen Schlägen zurück. Heliane starrte geradeaus in den Lichttunnel, über dem sich silbrig angestrahlt das Laub der Ebereschen wölbte. Etiennes Vorschlag, von etwas anderem zu sprechen, schien keinen Anklang zu finden. Heliane zündete sich eine Zigarette an. Sie rauchte nervös, mit einem langen Glutstreifen, der den schwachen phosphoreszierenden Lichtschimmer von Tachometer und Uhr auf dem Armaturenbrett rötlich überstrahlte. Manfred hüllte sich in ein trotziges Schweigen. Etiennes Antwort schien ihn weder befriedigt noch überzeugt zu haben.
»Übrigens bekam ich heute einen Brief von meiner Mutter«, sagte Etienne und ärgerte sich über das »Übrigens«, mit dem er den Satz begonnen hatte. Es klang, als bezöge er sich direkt auf die Ereignisse der letzten halben Stunde; »meine Schwester Marion ist mit ihren beiden Mädels wieder nach Karachi zurückgeflogen.«
»Karachi in Indien?« fragte Manfred. Etienne war ihm für seine Frage fast dankbar. Sie goß ein wenig Wasser auf die stillgelegte Gesprächsmühle.
»Geographie lobenswert!« Er nickte. »Mein Schwager ist dort mit seiner Firma beim Bau eines Kraftwerks beteiligt. Marion war mit den Kindern fast drei Monate in Kronbeuren. Aber nun ist das Haus wieder leer — und meine alte Dame fühlt sich einsam...«
»Ich verstehe«, sagte Heliane, »du bereitest uns schonend darauf vor, daß du uns verlassen willst.«
»Ganz im Gegenteil, Heli! Hättest du nicht Lust, mit Manfred und Thomas für ein paar Wochen mit mir nach Kronbeuren mitzukommen? Ich finde, es ist fast eine Schande, daß du unser Château noch nicht kennst...«
»Wo liegt Kronbeuren eigentlich, Onkel Marcel?«
»In der Nähe von Romanshorn.«
»Romanshorn am Bodensee?«
»Noch eins drauf!« lobte Etienne.
»Zufall, Onkel Marcel! Ich war nämlich im vergangenen Sommer mit unserer Pfadfindergruppe bei Meersburg im Zeltlager, und da haben wir mal eine Dampferrundfahrt um den See gemacht. Auf den Hafen von Romanshorn mit den großen roten Speichern besinne ich mich aber noch ganz genau.«
»Das Haus liegt direkt am See. Meine Mutter kann sich davon nicht trennen, obwohl es für sie viel zu groß geworden ist. Vor ein paar Jahren liebäugelte sie wahrhaftig vor lauter Vitalität und Beschäftigungsdrang mit dem Gedanken, Sommergäste aufzunehmen. Natürlich nur nette Leute, die mit ihr am Abend Rommé spielen und am Tag bei der Obsternte und beim Einkochen helfen sollten.«
»Direkt am See?« fragte Manfred. Es hörte sich an, als schmecke er etwas auf der Zungenspitze ab.
»Vom Fenster kann man natürlich nicht ins Wasser springen, aber vom Bootssteg aus. Mama schwimmt übrigens mit ihren fünfundsiebzig Jahren auch noch immer vom Juni bis Mitte September täglich ihre Runden — natürlich nicht um den ganzen Bodensee!«
»Respekt!« sagte Manfred, von der Vorstellung erheitert, die alte Dame könne womöglich die rund zweihundert Kilometer Uferstrecke abschwimmen. »Und du lädst uns nach Kronbeuren ein, Onkel Marcel?«
»Fredi!« mahnte Heliane sanft.
»Also, wenn ich unser Sachranger Schwimmbecken gegen den Bodensee halte, dann bin ich schon mehr für den Bodensee!«
»Wie ist’s nun?« fragte Etienne. »Ich lade euch hiermit ganz offiziell im Namen meiner Mutter herzlichst nach Kronbeuren ein. Darf ich sie anläuten, daß sie Betten für drei Herren und eine Dame beziehen lassen soll?«
»Ja, Onkel Marcel!« rief Manfred, und sowohl Etienne als auch Heliane ahnten, daß sein Wunsch, Sachrang für ein paar Ferienwochen mit Kronbeuren zu vertauschen, nicht nur daher kam, daß der See gegen den Swimming-pool besser abschnitt.
»Und wenn ihr angeln wollt...«
»Ich bitte dich, Marcel, mach mir die Jungen nicht verrückt!« rief Heliane. »Ich persönlich würde mich freuen, deine Mutter und euer Haus am See endlich kennenzulernen, aber ich muß die Entscheidung darüber Michael überlassen.«
Hinten stieß Manfred einen Laut aus, der wie das Knurren eines bissigen Hundes klang.
»Laß das!« sagte Heliane scharf. »Und unterlaß auch in Zukunft gefälligst jede Bemerkung über den heutigen Abend! Das sind Angelegenheiten, die nur mich allein etwas angehen — und mit denen ich schon fertig werde!«
»Ich habe ja auch nichts gesagt«, murmelte der Junge, »ich meine nur, wenn du nicht von Sachrang wegkannst, dann könnte Onkel Marcel ja vorerst einmal Tom und mich nach Kronbeuren mitnehmen. Tätest du das, Onkel
Weitere Kostenlose Bücher