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Nelken fuers Knopfloch

Nelken fuers Knopfloch

Titel: Nelken fuers Knopfloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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mußte Heliane sein! Er riß den Hörer ans Ohr und bekam es fertig, ihn nach dem ersten Wort des Anrufenden enttäuscht und grimmig auf die Gabel zu schmettern. Der Anruf, auf den er wartete, kam nicht. Und wenn er in der Hoffnung, endlich Helianes Stimme zu vernehmen, in versöhnlicher Stimmung bereit gewesen war, seine große Schuld einzugestehen und ihr für die Zukunft zu versprechen, was sie nur zu hören wünschte, so stieg in ihm, wenn er den Hörer enttäuscht ablegte, wieder der gallige Zorn hoch, in dem er sich von aller Schuld freisprach und Etienne als den teuflischen Zerstörer seiner Ehe und seines Glückes zur Hölle verwünschte.

19

    Frau Claire Etienne, Marcels Mutter, empfing Heliane und die Jungen mit einer Herzlichkeit, als nähme sie mit ihnen die eigene Tochter und ihre Enkelkinder im Hause auf. Nicht nur Heliane, auch Manfred und Tom waren von Kronbeuren beeindruckt. Wenn Marcel in seinen Erzählungen von seinem Elternhaus manchmal das Wort Chateau gebraucht hatte, so hatte Heliane das als eine französisch-schweizerische Spracheigentümlichkeit hingenommen, ohne sich dabei etwa einen schloßähnlichen Besitz vorzustellen. Sie wußte zwar, daß Marcel aus wohlhabenden Verhältnissen stammte — sein Vater Charles Etienne hatte in Yverdon eine Fabrik für Präzisionswaagen und Meßinstrumente gegründet, die noch immer im Besitz der Familie war und von Marcels Bruder Guy geleitet wurde, aber sie hatte den Grad der Wohlhabenheit ein wenig niedriger eingeschätzt.
    Ursprünglich Burg und Thurgauer Vogtei der Grafen von Kyburg, war Kronbeuren später ein Benediktinerkloster geworden. In den Kämpfen der Reformationszeit niedergebrannt, wurde es von den Jesuiten im Baustil der Renaissance wiedererrichtet und verwahrloste nach deren Vertreibung, bis es die Baseler Familie Gessner in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Sommersitz erwarb. Marcels Mutter, einer geborenen Gessner, fiel Kronbeuren dann als Erbe zu. Inmitten eines romantischen, ein wenig verwilderten Parks lag der schloßartige Bau mit seinem hochaufragenden, schönen Renaissancegiebel ein paar Kilometer westlich von Romanshorn auf einem Höhenrücken, der sich als Landzunge ein Stück in den See hineinschob.
    Mit fünfunddreißig Jahren verwitwet und in der französischen Schweiz, der Heimat ihres Mannes, nie recht heimisch geworden, hatte sich Frau Etienne mit ihren beiden Kindern bald nach dem Tode von Marcels Vater nach Kronbeuren zurückgezogen. Hier hatte auch Marcel seine Jugend verbracht. Und hier residierte nun die alte Dame seit rund vierzig Jahren, Herrscherin über achtzig Tagwerk Park, Obstgärten, Wiesen und fünf Seelen, wie sich Marcel unter Anspielung auf altrussische Verhältnisse manchmal scherzhaft ausdrückte, denn die alte Dame hatte durchaus etwas Patriarchisch-Beherrschendes an sich. Die fünf Seelen bestanden aus einem älteren Gärtnerehepaar, das in einiger Entfernung vom Schloß in einem Pavillon hauste; ferner aus Jean, dem fünfundsechzigjährigen Diener und Chauffeur, der — wenn er nicht mit seinen weißen Zwirnhandschuhen das Essen servierte — den uralten Daimler auf Hochglanz hielt, in dem er die alte Dame zuweilen zu Einkäufen nach Romanshorn oder zu Theaterbesuchen nach Konstanz fuhr...
    (»Rasen Sie nicht, Jean!« warnte sie mit erhobenem Zeigefinger, wenn die Nadel des Tachometers auf vierzig kletterte.)
    ...und schließlich aus zwei robusten Haustöchtern, von denen die alte Dame die eine, Therese, zu einer ausgezeichneten Köchin herangebildet hatte, während die andere, Pauline, die Zimmer in Ordnung hielt.
    Manfred und Thomas imponierte Kronbeuren mächtig. Die riesengroße Halle, in der das ganze Sachranger Haus Platz gefunden hätte, das Treppenhaus mit seinen barocken Decken- und Wandgemälden, die alten Donnerbüchsen und Schwerter an den Wänden der Korridore, und nicht zuletzt die weißen Handschuhe von Jean, der übrigens Marcel den ersten Flitzbogen und die erste Weidenflöte geschnitzt hatte. Und ihnen imponierten die rösch gebratenen Blaufelchen, die ihnen Jean mit würdevoller Haltung zum ersten Abendessen auf Kronbeuren in dem großen Speisesaal des ehemaligen Benediktinerkonvikts servierte. Sie aßen Fische für ihr Leben gern und wurden damit weder in Hartenstein noch auf Sachrang verwöhnt, da Pforten kein Liebhaber von Fischgerichten war, wenn der Fisch nicht springfrisch in den Sud kam, und das war in Sachrang natürlich nicht möglich.
    Die Jungen waren

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