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Nelken fuers Knopfloch

Nelken fuers Knopfloch

Titel: Nelken fuers Knopfloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Tobsuchtsanfall.
    »Wie interessant!« zischte er. »Haben deine Bemühungen um Heliane nun endlich doch zum Erfolg geführt?!«
    Etienne machte eine Bewegung, als wolle er zu Pforten hinstürzen, um ihn durch einen Faustschlag zum Schweigen zu bringen, aber Heliane hängte sich in seinen Arm.
    »Nicht doch, Marcel!« sagte sie leise. »Diese Beleidigungen reichen doch nicht an uns heran. Dazu sind sie zu schäbig...« Sie hob den Kopf und sah Pforten an, aber ihr Blick ging durch ihn hindurch, als wäre er ein Schatten.
    »Ich habe jedes Wort gehört, das ihr hier gesprochen habt«, sagte sie ruhig. »Was bist du eigentlich für ein Mensch, Michael? Bist du überhaupt noch ein Mensch mit menschlichen Gefühlen und menschlichen Regungen? Als du Manfred sagtest, er müsse doch einsehen, daß der Hund nicht zu unseren Möbeln passe, da habe ich wahrhaftig auf den Boden geschaut, ob du noch einen Schatten wirfst! Ob du ihn nicht wie Peter Schlemihl dem Teufel verkauft hast!«
    Plötzlich, ohne daß sich ihre Stimme änderte, strömten Tränen über ihr Gesicht, sie stürzten aus ihren Augen, liefen die Wangen herab und zersprangen glitzernd wie platzende Glasperlen auf der Wolle ihres Pullovers. »Ich nehme dir nicht übel, daß du mich vernachläßigt und vielleicht sogar betrogen hast. Ich nehme dir auch nicht übel, daß du dich um die Kinder nicht gekümmert hast. Aber deine Herzlosigkeit, den armen Poldi wegzugeben, weil er deiner Ansicht nach nicht zu unseren Möbeln paßt — das war zuviel!«
    Sie drehte sich um und zog Marcel mit. »Warte bitte auf mich, bis ich einen kleinen Koffer gepackt habe. Ich muß auch noch ein paar Sachen für die Jungen herrichten. Wir können deine Mutter ja von München aus anrufen...«
    »Ich verbiete dir...«, keuchte Pforten.
    Heliane drehte den Kopf und sah ihn über die Schulter hinweg mit einem Blick an, der ihn verstummen ließ.
    »Mach dich nicht auch noch lächerlich, Michael! Was willst du mir verbieten? Oder willst du mich etwa mit Gewalt daran hindern, Sachrang zu verlassen? Deine Szenen beeindrucken mich nicht mehr. Sie haben mich nie allzusehr beeindruckt. Ich habe deine Theateraufführungen bis zum Halse satt. Und spiel um Gottes willen keinen Lear. Die Rolle liegt dir nicht. Es gäbe höchstens einen Lacherfolg. Also laß es lieber!« Sie nickte ihm zu, als sähe sie ihn in unendlicher Ferne kleiner und immer kleiner werden und verließ mit Etienne die Halle. Sie stiegen gemeinsam die Treppe hinauf und trennten sich oben, um zu ihren Zimmern zu gehen.
    Wenn Pforten vielleicht noch vor Sekunden bereit gewesen war, eine große Szene mit Pauken, Trompeten und einigem zerschlagenen Porzellan hinzulegen, Helianes eisige Ironie mit der Erwähnung des Lear traf ihn bis ins Herz. Sie hatte damit eine heimliche Wunde aufgerissen, die er keinem anderen Menschen als ihr je gezeigt hatte, das Wissen um seine Oberflächlichkeit, um sein künstlerisches Unvermögen, jemals zu einer großen tragischen Rolle der Weltliteratur vorzudringen. Es war ein Schlag, der ihn verstummen ließ. Die heftigsten Vorwürfe, die schwersten Anklagen und Beschuldigungen hätte er eher ertragen als diesen ätzenden Hohn, mit dem sie sich von ihm entfernte. Und er wußte plötzlich, daß er sie verloren hatte.
    In seinem Zimmer liegend und gegen die zartgrau getönte Decke starrend, hörte er die Stimmen der Jungen und die Geräusche des Aufbruchs und stürzte sich in phantastische Pläne, wie er Heliane daran hindern könne, ihn und Sachrang zu verlassen. Wenn ein Selbstmordversuch nicht mit einigen Gefahren verbunden gewesen wäre, dann hätte er es schließlich mit einem Knall aus seinem Browning, etwas Blut und einem erstklassig gespielten Dahinröcheln versucht. Es war übrigens ein Clou in seinem neuen Stück, in dem Onkel Humphrey auch vor einem fingierten Selbstmord nicht zurückschreckte, um seine Verwandschaft um ein paar hundert Pfund zu erleichtern...
    Erbärmlich! dachte er verstört und unglücklich, daß er nie, nicht einmal in dieser Stunde, von sich und von der Bühne loskam! Daß er auch jetzt Theaterdialoge ersann und sich gleichsam in zwei Personen aufspaltete, von denen die eine echten Schmerz empfand, während die andere listig Regie führte, die Szene stellte und die Wirklichkeit aufs Parkett erprobte. Er schloß sich auf seinem Zimmer ein und preßte die Hände gegen die Ohren, als er das Geräusch von Etiennes Wagen hörte, dessen Motor unter der Oberbelastung noch lauter

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