Nelken fuers Knopfloch
sofort nach der Ankunft an den See gelaufen, um zu baden. Das Ufer war ein wenig verschilft, aber das Ende des Bootsstegs — den Kahn hatte die alte Dame vorsichtshalber an Land ziehen lassen — führte ins klare Wasser, und sie hatten einen kapitalen Hecht beobachtet, der die Rotfedern auseinanderspritzen ließ. Morgen in aller Frühe wollten sie mit den Angelgeräten ausrücken.
»Worauf beißen Felchen, Onkel Marcel?« fragte Tom.
»Du kannst es ja einmal mit Käse versuchen«, sagte Marcel und zwinkerte Jean zu. »Sind die Taucherausrüstungen in Ordnung, Jean?«
»Ich möchte es nicht beschwören, Herr Marcel — es ist immerhin fünfundvierzig Jahre her, daß Sie zum erstenmal nach Felchen angeln wollten.«
»Verstehe ich nicht«, sagte Manfred. »Willst du uns verkohlen, Onkel Marcel?«
»Wie käme ich dazu? Mit dem Felchenfang ist es nur das Dumme, daß man an die Biester mit der Angel so schwer herankommt. Sie stehen nämlich mindestens hundert Meter tief.«
Wenn es also mit dem Felchenfang nichts war, so waren Hechte, Zander, Barsche und Brachsen auch nicht zu verachten, und die Jungen lernten noch am selben Abend von Jean, wie man die fettesten Tauwürmer mit dem Licht einer Taschenlampe aus der Erde lockte.
Um zehn Uhr wurden die Jungen zu Bett geschickt. Jean begleitete die jungen Herren und zerstäubte in ihrem Zimmer ein Insektenvertilgungsmittel, denn der Nachteil der Seenähe waren die Schnaken, die es hier in Mengen gab und die mit ihrem Summen, wie es Jean den Jungen erklärte, den Schläfer fragten: bisssst gsssund?
Die alte Dame, Heliane und Marcel saßen noch eine Weile bei einem Glas Portwein beieinander. Im Kamin glühten ein paar Birkenscheite, denn in der Halle war es trotz der sommerlichen Außentemperatur empfindlich kühl. Als Heliane nach einer Stunde um Erlaubnis bat, sich zurückziehen zu dürfen, wurde ihr das huldvoll gewährt. Ihren Sohn Marcel aber, der sich ebenfalls verdrücken wollte, hielt die alte Dame zurück.
»Schenk uns noch einen Schluck ein, mein Junge. Ich habe dich so selten hier, daß ich die Stunden ausnutzen muß.«
Marcel stopfte seine Pfeife — die Pfortenschen Geschenkpfeifen hatte er in seinem Zimmer auf Sachrang zurückgelassen — , streckte seine Füße gegen den Kamin und sah seine Mutter fragend an, die mit einer leichten Wolldecke über den Knien sehr gerade in ihrem Ohrenbackenfauteuil saß. Er kannte sie schließlich seit fünfundfünfzig Jahren und wußte, was es mit dem >Ausnutzen der Stunden< für eine Bewandtnis haben würde. —
»Eine reizende Frau!« sagte die alte Dame und nippte an ihrem Portwein. »Noch reizender, als du sie mir geschildert hast. Und außerdem ist sie der Typ, der noch nach dreißig und vierzig Jahren gut aussehen wird.«
»Genau wie du, Mama!« sagte er mit einer Weinen Verbeugung.
»Danke, das hast du sehr nett gesagt, und ich bin für Komplimente noch immer empfänglich. Aber du bist ein Dummkopf, daß du sie damals nicht geheiratet hast, als du mir das erstemal von ihr erzähltest. Diese netten Jungen könnten jetzt deine Söhne und meine Enkel sein. — Ich weiß nicht, weshalb Marion keine Söhne bekommt und weshalb Guy eine Frau geheiratet hat, die überhaupt keine Kinder haben will...«
»Ich gebe dir völlig recht, Mama, ich bin ein Dummkopf. Aber die Einsicht kommt leider zu spät. — Und weshalb Marion keine Söhne bekommt...«
»Schweig!« unterbrach ihn die alte Dame und hielt das geschliffene Stielglas gegen das Licht. Sie knipste mit dem Nagel des Mittelfingers ganz leicht gegen den Rand. Es gab einen feinen, zirpenden Ton.
»Ich dachte schon, es hätte einen Sprung«, sagte sie, und im gleichen Atem fügte sie hinzu: »Warum ist sie eigentlich so unglücklich? Hat es in ihrer Ehe einen Riß gegeben?«
»Sag einmal, Mama«, fragte Etienne verblüfft, »bist du unter die Hellseher gegangen?«
»Unsinn! Man sieht doch auf den ersten Blick, daß sie einen heimlichen Kummer mit sich herumschleppt. Ist es Pforten? Geht er ihr durch? Ich habe mir neulich in Konstanz seinen letzten Film angesehen. Wie hieß er doch gleich? >Ein Mann im besten Alter< oder so ähnlich... Er ist ein hervorragender Schauspieler. Aber er wirkt eitel. Wie alt ist er eigentlich?«
»Neunundvierzig, Mama — aber er gibt sich als neununddreißig aus.«
»Genauso habe ich ihn eingeschätzt. — Aber erzähl schon, mein Junge, was hat es da gegeben?«
Marcel beugte sich herab und visierte den Portweinspiegel in der
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