Nemesis 03 - Alptraumzeit
meinen Schädel antrat und damit eine Woge dumpfen Schmerzes auslöste, die für eine Weile bunte Punkte vor meinen Augen flimmern ließ. Der unbändige Hass, den ich in der Empfangshalle auf Maria verspürt hatte, als ich sie nach dem seltsamen Feentanz meines Bewusstseins für die erzwungene Rückkehr in die Realität verantwortlich gemacht hatte, schäumte erneut in mir auf.
Ich riss ihr das Buch aus der Hand und schleuderte es zornig in eine Ecke. »Das reicht!«, brüllte ich. »Du bist niemandes Richterin, auch wenn du dir noch so sehr in dieser Rolle gefällst!«
Maria zuckte erschrocken zusammen und wich gleichzeitig einen Schritt vor mir zurück, als hätte ich sie geschlagen oder als sähe ich zumindest so aus, als ob ich es gleich tun wollte. Und ich war mir gar nicht so sicher, dass ich es nicht wollte.
Judith nahm mir die Entscheidung ab, indem sie sich schnell so zwischen uns stellte, dass ich keine Möglichkeit gehabt hätte, Maria etwas anzutun, ohne dabei erst Judith zu verletzen. »Ich schlage vor, wir gehen alle an die frische Luft und regen uns draußen ein bisschen ab«, sagte sie ruhig, aber bestimmt.
Ausnahmsweise schien sie damit einer Meinung mit Ellen zu sein, denn diese erhob sich zügig von ihrem Stuhl, hakte sich energisch bei Maria unter und schob sie vor sich her aus der Küche wie ein ungezogenes Kind, dem sie vor der Tür die Leviten lesen wollte. Maria wehrte sich nicht. Mein Wutausbruch hatte sie aus dem Konzept gebracht und in die Rolle des unsicheren grauen Mäuschens zurückgeworfen, das Widerspruch und Aufbegehren nie gelernt zu haben schien. Judith schloss sich den beiden an, und weil ich fand, dass sie Recht hatten und ein wenig frische Luft mir wirklich nicht schaden konnte, folgte ich ihr, blieb aber zwischen Tür und Rahmen noch einmal stehen und blickte zu Ed und Carl zurück. Ed kauerte noch immer wie ein getretener Hund auf seinem Platz und starrte aus trüben Augen ins Leere, während Carl weiterhin an der Küchenwand gelehnt dastand und überhaupt nichts tat, was auf seine Gefühlslage hätte schließen können.
Ich verließ die Küche, durchquerte die Eingangshalle und trat zu den drei Frauen auf den Hof hinaus. Mit einem Anflug der Erleichterung stellte ich fest, dass Judith noch Zigaretten übrig hatte. Sie bot Ellen und mir davon an, nachdem sie sich selbst eine angesteckt und tief inhaliert hatte. Ich nahm ihr Angebot dankbar an und genoss die beruhigende Wirkung des Qualms in meiner Lunge, für die ich die dadurch noch zunehmenden Kopfschmerzen in Kauf nahm.
»Wenn Eds Großvater tatsächlich –«, begann Maria vorsichtig, nachdem wir alle eine kleine Weile schweigend auf dem Hof gestanden und aneinander vorbei in die Dunkelheit geblickt hatten, wurde aber barsch von Ellen unterbrochen.
»Und wenn meine Uroma Hitlers Hebamme war, was habe ich damit zu tun?«, fuhr sie Maria an. »Es spielt überhaupt keine Rolle und es interessiert hier auch niemanden, hast du verstanden? Du solltest dich zurückhalten, ehe einer von uns anfängt, sich dafür zu interessieren, woher du eigentlich so genau Bescheid weißt, Fräulein Nachkriegsarchiv. Dein Detailwissen übertrifft nämlich den kollektiven Wissensstand jeder Burschenschaft.«
Maria wich erschrocken vor ihr zurück. Dann senkte sie den Kopf und hüllte sich für den Rest unseres Kurztrips auf den Hof in ängstliches Schweigen. Auch Ellen und Judith zogen es vor, erst einmal nichts mehr zu sagen, und ich entschuldigte mich knapp und nutzte den Augenblick, um den beiden in Sichtweite den Rücken zuzudrehen und gegen die Fassade des Haupthauses zu pinkeln, ehe mir der Druck auf meiner Blase irgendwann noch so zum Verhängnis werden konnte, wie es bei Maria der Fall gewesen war, als sie die Toiletten im Obergeschoss aufgesucht hatte.
Vorausgesetzt, sie hatte die Wahrheit gesagt.
Die Blutspur, die Stefan auf seinen letzten Schritten hinterlassen hatte, endete kurz vor Ende der Empfangshalle. Entweder hatte sein Mörder oder seine Mörderin ihn, erst einen kurzen Moment nachdem er den Eingang zum Haupthaus passiert hatte, erwischt – und das war wahrscheinlicher, denn keiner von uns hatte einen Schrei oder gar Kampflärm vernommen, ehe der Bodybuilder zu uns in die Küche gestolpert war – oder das Blut war erst einige Zeit später in einem Schwall aus der mit der Stichwaffe verschlossenen Wunde gequollen und hatte ab da seinen Weg in einer sichtbaren Spur markiert. Damit schwand eine weitere minimale Chance
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