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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
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kurz, versuchte so, es von mir zu werfen, wie ein nasser Hund, der sein Fell trocknete, aber es gelang mir nicht ganz, sodass ein kalter Hauch in meinem Nacken haften blieb.
    Die Treppe war tatsächlich ziemlich lang, führte aber bei weitem nicht in so schier unendliche Höhe, wie ich befürchtet (zu wissen geglaubt?) hatte. Nach etwas mehr als zehn Höhenmetern endete sie vor einer halb geöffneten, modern wirkenden Holztür mit einem silberfarbenen Drehknauf. Wieder ergriff mich ein beklemmendes Gefühl, das an Furcht grenzte, während ich Ellen die letzten Schritte hinauffolgte. Ich hatte mich geängstigt, als wir uns nach dem Horrorkabinett der Forschungssammlung II der Tür zum so genannten Raum XIII genähert hatten, hatte befürchtet, dort auf noch Schlimmeres zu stoßen. Nun war es anders: Ich befürchtete nicht, etwas Entsetzliches sehen oder erleben zu müssen, wenn ich meine Füße über die Schwelle dessen setzte, was der Schallraum sein musste, ich wusste, dass es so sein würde.
    Das, was ich in diesen Sekunden empfand, reichte weit über eine bloße Ahnung hinaus. Wenn man wie ich erst einen Zahnarzt aufzusuchen bereit war, wenn es längst zu spät war, dann kannte man dieses Gefühl, im Wartezimmer zu sitzen und nicht bloß zu erahnen, welche Dentalfolter hinter der nächsten Tür warten mochte, sondern sich den zu erwartenden Schmerz an den Löchern in den Weisheitszähnen, die man mit der Zunge ertasten konnte, mit großer Sicherheit ausrechnen zu können. So in etwa fühlte ich mich in diesem Augenblick. Nur war die Dimension eine ungleich größere. Hinter dieser Tür lauerte etwas nicht in Worte Fassbares, etwas unsagbar Entsetzliches auf mich.
    Auf uns, wies ich mich in Gedanken zurecht und schloss meine Hand etwas fester um Judiths Finger. Ich musste sie beschützen. Was auch immer passierte, ich würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß, dass man ihr etwas zuleide tun würde. Es war ein Unding, dass sie mir erst hier und unter den grausamsten aller denkbaren Umstände begegnet war. Aber das änderte nichts daran, dass sie die Frau war, auf die ich mein halbes Leben lang gewartet hatte – falsch: Sie war ein Mensch, wie ich ihm niemals zu begegnen gehofft hatte, weil ich im Traum nicht daran gedacht hätte, dass ein Mädchen wie sie existieren könnte
    – ein Mädchen, dem ich aus irgendeinem Grund vertraute, ohne dieses Vertrauen zu hinterfragen; ich, der Beziehungsversager, der einfach nicht in der Lage war, sich einem anderen Menschen hinzugeben, sich selbst loszulassen und sich von seinen Gefühlen treiben zu lassen. Mit ihr verband mich etwas, das ich nicht beschreiben konnte, das ich aber nie wieder verlieren wollte. Eher würde ich für sie sterben, ein einziges Mal in meinem Leben meine gottverdammte Feigheit überwinden und ein Held für sie sein, wenn ich sie nicht anders zu schützen vermochte vor dem, was auch immer hinter dieser Tür, überhaupt noch in dieser schrecklichen Nacht, in meinem ganzen Leben, auf uns warten mochte.
    Ellen betrat den Raum nicht sofort, sondern verharrte mit dem kugelförmigen Knauf in der Hand und blickte verunsichert über die Schulter zu uns zurück. Auch Judith und Carl, zu dem ich mich umwandte, um einen halben Atemzug Gnadenfrist zu schinden, stand deutlich eine erhebliche Anspannung ins Gesicht geschrieben. Ich war nicht der Einzige, der es spürte. Die Gewissheit vermochte mich nicht ruhiger zu stimmen, ließ mich aber wenigstens wissen, dass ich nicht gänzlich irrsinnig war, sondern nur das Gleiche empfand wie alle anderen auch. Etwas Kaltes, Bedrohliches lag in der Atmosphäre des unheimlichen Burgturmes, etwas, das mit jedem Schritt in die Höhe zugenommen hatte und sich nun unmittelbar vor dem Durchgang zum Schallraum zu etwas fast Greifbarem ballte, zu einem unsichtbaren, zähnefletschenden Ungeheuer, dessen Tentakeln die Treppe hinabreichten und dessen weit aufgerissenes, sabberndes Maul den halben Raum hinter der Tür ausfüllte. Ich verspürte ein dumpfes, schmerzloses Pochen hinter meiner Stirn. Es tat nicht weh, fühlte sich aber durch und durch unangenehm an. Ich spürte genau, wo der Schmerz in absehbarer Zeit erneut aufflackern würde, konnte ganz genau fühlen, wo der verdammte kleine Alien, der in dieser Nacht so oft und mit so viel Leidenschaft an der Innenseite meiner Schädeldecke geschabt hatte, sich bald wieder zu schaffen machen würde, als hielte er einen Stift, mit dem er sich schon einmal die entsprechenden

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