Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs
Bereiche rot schraffierte.
»Nur zu!« Plötzlich war die Anspannung des Wirtes wieder verflogen und machte dem Goldfieber Platz, das seinen Verstand nun völlig zu vereinnahmen schien. »Das muss das Schatzversteck sein.« Dann erlitt er einen spontanen Anfall von Großmut, in dem er in einigen Schritten Abstand auf der steilen, steinernen Treppe ansatzweise eine Verbeugung mit seinem ungelenkigen, übergewichtigen Oberkörper vollführte. »Und weil ihr mir so treue Dienste geleistet habt«, säuselte er, »erkläre ich mich hiermit hochoffiziell bereit, mein Erbe mit euch zu teilen.
Fünfundzwanzig Prozent für euch, zwei Drittel für mich.
Aber bei einem Vermögen dieses Ausmaßes seid ihr auch mit läppischen fünfundzwanzig Prozent durch drei schon gut dabei, daran habe ich keinen Zweifel.«
Nicht nur ich, sondern auch die beiden Frauen verkündeten dagegen mit Blicken erhebliche Zweifel an der Funktionstüchtigkeit seines Gehirns, aber niemand machte eine entsprechende Andeutung in die Richtung, dass der dicke Wirt zumindest sein mathematisches Verständnis irgendwo in dem Labyrinth unter der Burg verloren haben musste. Unser Unwohlsein, in meinem Falle gar die Angst, war einfach zu übermächtig, um sich den Kopf über den sichtbar dahinschwindenden Intellekt eines Menschen zu zerbrechen, der wahrscheinlich nicht nur uns, sondern wohl auch dem ganzen Dorf, wenn nicht dem Rest der Welt völlig gleichgültig war, hatte er doch selbst darauf geschworen, dass niemand sich um ihn sorgen würde, wenn er seine Kneipe tagelang nicht öffnete.
Die Ärztin schob die Tür auf, verharrte einen letzten, zögerlichen Augenblick auf der Schwelle und wurde in der nächsten Sekunde von einer Finsternis verschluckt, wie sie vollkommener nicht vorstellbar war. Der ohnehin abgeschwächte Lichtkegel des Scheinwerfers, so erschien es mir, vermochte die Dunkelheit hinter der hölzernen Tür kaum zu durchbrechen – für einen kurzen Moment hatte ich den verrückten Eindruck, dass der Lichtstrahl an der Grenze zwischen Treppenabsatz und Durchgang erschrocken innehielt und eilig in das winzige, glühende Drähtchen, dem er entsprungen war, zurückkehrte, doch es war nur eine weitere irrwitzige Täuschung, die meine gestressten Sinne mir vermittelten. Tatsächlich war es schlichtweg so, dass die Batterien zunehmend schwächer wurden, Judith und ich den größten Teil der matten Helligkeit mit unseren Körpern verdeckten und Carl zudem allem Schatzfieber zum Trotz nur zögerlich zu uns aufschloss. In der ersten Sekunde war er noch immer gute drei oder vier Meter von uns entfernt, als Ellen schon im Raum verschwunden war. Dann drängte er uns, der Ärztin zu folgen, und ich gab mir einen wahrscheinlich sichtbaren Ruck und zog Judith mit mir die letzten dunkelgrauen Steinquader hinauf, aus denen die ausgetretene, steile Turmtreppe gebaut war, und in den Raum hinein, der auf dem ersten Plateau, auf schätzungsweise halber Höhe des gedrungenen Bergfrieds lag.
Ich weiß nicht, warum es das Erste war, was mir auffiel, obwohl ich den Kopf um fast neunzig Grad nach rechts drehen musste, um es festzustellen – wahrscheinlich war der Umstand auf den verzweifelten Versuch zurückzuführen, um jeden Sekundenbruchteil, den ich vom Anblick des finsteren Raumes verschont blieb, zu kämpfen.
Jedenfalls war die massive Holztür, die Ellen aufgestoßen hatte, an ihrer Innenseite mit gestepptem, dunkelrotem Leder gepolstert, auf dem in gleichmäßigen Abständen goldfarbene Nieten im schwachen Schein der Lampe so hell aufblitzten, dass sie meine Augen fast blendeten. Ihr gegenüber entdeckte ich eine identische, ebenfalls relativ neuwertige oder extrem gut erhaltene Tür wenige Schritte weiter am Ende eines schmalen, fensterlosen Ganges.
Mehr gab es nicht zu sehen. Keine Tentakeln schwingenden, Seelen fressenden Ungeheuer, keine halb verwesten, zombieartigen Horrorgestalten in zerrissenen weißen Kitteln, nichts. Dennoch ersparte ich es mir, erleichtert aufzuatmen. Was nicht war, das konnte schließlich noch werden. Ellen hatte, ohne eine entsprechende ungehaltene Aufforderung Carls abzuwarten, bereits die zweite Tür angestrebt und schob sie nun ohne jegliches Zögern auf.
Vielleicht hatte sie ja Angst, die Überwindung, die es sie gekostet hatte, diesen kaum mehr als drei Meter langen Gang zu betreten, kein zweites Mal aufbringen zu können, sobald sie erst einmal innehielt.
Mir fiel auf, dass weder die erste noch die zweite Tür
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