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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
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gequietscht oder auch nur leise geknarrt hatten, als die Ärztin sie öffnete. Ich hätte ein qualvolles Ächzen erwartet oder ein erbärmliches, in den Ohren schmerzendes Quietschen, mit dem sie dagegen protestierten, nach mehr als einem halben Jahrhundert aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen zu werden. Doch die Türen bewegten sich lautlos, geradezu geschmeidig, in ihren Angeln wie frisch geölt, und mein Eindruck, dass jemand sie noch bis vor kurzem gepflegt hatte, verstärkte sich so sehr, dass er an eine Gewissheit grenzte, der ich mich noch strikt verweigerte.
    Dass dieser Turm noch immer von irgendjemandem genutzt wurde, hätte bedeutet, dass nach wie vor Menschen mehr oder weniger regelmäßig durch das Horrorkabinett der Forschungssammlung streiften und dieses grausame Dokument aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges unter Verschluss hielten, ja es demnach möglicherweise sogar guthießen. Es hätte bedeuten können, dass dieser Keller mit all den schrecklichen Geheimnissen, die er vielleicht noch barg, unter Umständen sogar noch zu ähnlichen Zwecken genutzt wurde, zu denen er ausgebaut worden war. Diese Vorstellung war mir zu grausam, daher beschloss ich, dass der herausragende Zustand der schweren Holztüren irgendwie mit dem Formalin zusammenhing, welches ich mir noch hier oben im Turm riechen zu können einredete. Gut: Die Stahltüren im Anatomiesaal waren nicht von den Zeichen der Zeit verschont geblieben, aber das konservierend Wirkende aus der streng riechenden Flüssigkeit konnte ja durchaus gasförmig und leichter als Luft sein, sodass es hier hinaufgestiegen war und Leder, Holz und Metall gewissermaßen haltbar gemacht hatte. Wenn man so wenig Ahnung von Chemie hatte wie ich, konnte man sich so etwas durchaus irgendwie glaubwürdig reden. Und wenn man nur annähernd so verzweifelt war, sah man auch getrost über den Umstand hinweg, dass die mit Schallraum beschriftete Stahltür in dem runden Saal unter dem Turm fest verschlossen gewesen war, als wir dort angekommen waren. Und dass das Eisengeländer der schmalen, stählernen Rampe, die an die zweite Tür grenzte, so stark von Rost zerfressen war, dass ich befürchtete, mir die Handinnenflächen an den unzähligen, scharfkantigen Löchern zu zerschneiden, wenn ich den Fehler beging, mich an ihm festzuhalten. Dennoch trat ich, wie Ellen wenige Augenblicke zuvor, zielstrebig darauf zu. Ich fürchtete mich noch immer erbärmlich vor irgendetwas, was ich nach wie vor nicht benennen konnte, das aber ganz sicher da war und sich mit jeder Sekunde gegenwärtiger, körperlicher anfühlte. Ich spürte einen schwachen, aber eisigen Hauch, der zunahm, je weiter ich mich auf der steil nach oben führenden Rampe weiterbewegte. Trotzdem übte die runde Plattform, der ich mich im unbeständigen, tiefschwarze Schatten werfenden Licht näherte, eine Art magischer Anziehungskraft auf mich aus, die stärker war als meine Angst und der ich mich nicht zu widersetzen vermochte. Nicht um Verletzungen zu vermeiden, sondern in einer nahezu ehrfürchtigen Geste glitten meine Fingerspitzen über die vom Rost ganz rauen Handläufe des Geländers.
    Der unstet wandernde Kegel des an Judith und mir vorbeileuchtenden Handscheinwerfers tauchte den Rundsaal, an den die Rampe grenzte, in gespenstisch blasses, staubiges Licht. Dennoch erkannte ich eine Gruppe von sechs klobig wirkenden Stühlen, die auf der steinernen Plattform im Kreis angeordnet waren, sodass man in die Mitte des Raumes blicken musste, welchen Platz auch immer man einnahm. An den Armlehnen und Stuhlbeinen waren breite schwarze Lederriemen angebracht worden, mit denen man zweifellos auch die Arme und Beine des stärksten Mannes sicher fixieren konnte. Mit einem Gefühl eigenartigen, passiven Schreckens bemerkte ich, dass ebenso an den Rückenlehnen derartige Riemen angebracht waren, mit denen man wohl den Kopf des Sitzenden in aufrechter Haltung befestigen konnte. Außerdem befanden sich kleine, hölzerne Kisten zwischen den Stühlen, in die von jedem Sitzmöbel aus jeweils ein ganzer Wust von verschiedenfarbigen Kabeln führte.
    Der unstet wandernde Lichtkegel enthüllte immer mehr Details der ebenso obskuren und hoffnungslos überholten wie auch erschreckenden Technologie. Schwere Stromkabel hingen von der steinernen Decke in den Raum herab, außerdem ein altertümlicher Flaschenzug mit einem rostigen Haken, der unangenehm an einen ausgedienten Fleischerhaken erinnerte. Ringsum waren auf Höhe der Plattform

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