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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
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weit offen stehenden Mündern anstarren würden, fassungslos über seinen unschlagbaren Durchblick. »Das alles hier wurde doch nur gemacht, um jeden potenziellen Eindringling davon abzuhalten, weiterzugehen. Eine Anatomiesammlung in einem Labyrinth unter einer alten Burg – wie schrecklich ... Das ergibt doch keinen anderen Sinn!« Mit dem Lauf der Pistole, der für den Augenblick wohl seinen anderweitig benötigten Zeigefinger der rechten Hand ersetzen sollte, tippte er sich dreimal kurz vor die Stirn. »Diese ganzen Perversitäten dienen ausschließlich dazu, Schatzsucher wie uns in die Flucht zu schlagen«, behauptete er.
    Carl hatte seinen Schrecken überwunden und das Blut war in sein Gesicht zurückgekehrt und verfärbte seine speckigen Wangen von innen heraus in ein fast leuchtendes, sattes Rosa. Winzige Schweißperlchen blitzten neben seinen Nasenflügeln in der Dunkelheit, und ich erwartete fast, dass er vor Erregung zu sabbern begann.
    »Rein wissenschaftlich gesehen, ist das hier in der Tat eine Schatzkammer«, bestätigte Ellen zynisch. »Aber ich fürchte, nach Gold wirst du hier vergebens suchen.«
    »Das ist keine Schatzkammer!«, fuhr ich schockiert auf.
    Jede einzelne Silbe kratzte erbärmlich in meinem Hals, und es kostete mich redlich Mühe, überhaupt zu sprechen, während ich doch nach wie vor um jeden Kubikzentimeter Sauerstoff, der meine Lungen erreichte, verbissen kämpfen musste. Aber ich kam nicht umhin, Ellens verdammter Oberflächlichkeit endlich Einhalt zu gebieten. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich konnte sie nicht mehr ertragen!
    »Das ist ein Kabinett des Grauens, verstehst du! Kannst du dir mit deinen verfluchten Anatomiekenntnissen vielleicht in groben Zügen ausrechnen, wie viele Menschen dafür abgeschlachtet worden sind! Das hier ist keine wissenschaftliche Sensation, Ellen, sondern nichts als ein Dokument, wie erbärmlich und viehisch der Mensch sein kann, seinesgleichen so etwas anzutun. Hör auf so zu reden!«
    Schlampe! Fast hätte ich dieses Wort noch angehängt, biss mir aber in letzter Sekunde noch auf die Zunge. Hier war definitiv nicht der richtige Ort zum Streiten, und mein verzweifelter, kurzer Wutausbruch tat mir schon in diesen Sekunden wieder Leid.
    Ellen wich, erschrocken über mein unerwartetes, heftiges Aufbegehren, einen Schritt beiseite und bedachte mich tatsächlich mit einem kurzen, schuldbewussten Blick, kehrte aber schnell zu ihrer Lieblingsrolle der arroganten Unfallschirurgin zurück, die nichts auf der Welt mehr beeindrucken oder gar erschrecken konnte. Sie schnaubte verächtlich, sagte aber nichts mehr, und selbst Carl schwieg auf einmal betreten und bedeutete uns mit einem Wink, die Tür zu Raum XIII anzusteuern.
    Es wäre falsch gewesen zu behaupten, dass ich auf das Schlimmste gefasst war, als Ellen an mir vorbeitrat, die wuchtige Stahltür aufschob und Carl über ihre, Judiths und meine Schultern hinweg aufgeregt in den dahinter liegenden, stockfinsteren Raum hineinleuchtete; in den vergangenen Minuten hatte ich eine Erfahrung gemacht, die mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens begleiten und beeinträchtigen würde, nämlich die, dass man definitiv nie auf das Schlimmste gefasst sein konnte, da die eigene Vorstellungskraft, im Gegensatz zum Grauen an sich, irgendwo ihre Grenzen hatte. In diesem Fall aber übertraf das, was als grellbunter Clip vor meinem inneren Auge ablief, mit erheblichem Abstand die reale Ausstattung in dem eher tristen Raum, den ich mit zitternden Knien und rasendem Herzen Hand in Hand mit Judith betrat. Auf den ersten Blick befand sich darin nichts weiter als zwei altertümliche, klobig wirkende, mit fingerdicken Schrauben im Boden verankerte Generatoren. Auch Ellen hatte anscheinend Schrecklicheres zu entdecken befürchtet, denn ich hörte, wie sie erleichtert aufatmete. Schließlich trat sie mit drei, vier schnellen Schritten an die soliden Geräte heran.
    Sie klopfte gegen das stellenweise schon rostige Metall einer der Maschinen. Ein dumpfes Geräusch erklang, und die junge Ärztin runzelte nachdenklich die Stirn.
    »Das Ding muss randvoll sein«, stellte sie fest.
    »Und das in Zeiten, in denen es sich kaum ein Mensch noch erlauben kann, auch nur einmal voll zu tanken. Da soll noch mal einer behaupten, hier läge kein Schatz verborgen.« Carl blieb im Türrahmen hinter uns stehen, tastete den wuchtigen Generator mit dem Strahl seiner Lampe ab und ließ ihn schließlich an einem mit brüchigem schwarzen Gummi

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