Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
selbst. Ihre Finger zwirbeln das Taschentuch.
»Woher wusste Randy von den Bildern?«, fragt sie plötzlich.
Ich hole tief Luft und erzähle Sarah von den Ereignissen der vergangenen Nacht. Sie stellt keine Fragen, hört still und geduldig zu. Nur die unkontrollierbaren Schluchzer, von denen ihr zierlicher Körper ab und zu noch geschüttelt wird, unterbrechen meinen Bericht in unregelmäßigen Abständen.
»Eine Sache habe ich mich immer wieder gefragt, Sarah«, sage ich schließlich.
»Hm?«
»Daniel und Madelaine sind doch Gegenspieler in dem neuen Film, richtig?«
Sarah nickt. In ihrem Blick erkenne ich, dass sie nicht versteht, worauf ich hinaus will.
»Gibt es keine Szene, in der sie sich einander annähern?«, verdeutliche ich.
Sarah sieht mich noch ein paar Sekunden lang an, dann stößt sie wieder dieses kleine bittere Lachen aus und senkt mit einem Kopfschütteln ihren Blick. »Du bist echt süß, Ben. Aber nein, solch eine Szene gibt es nicht. Ich habe das Skript gelesen. Sie spielen Widersacher, Erzfeinde. Die jeweils letzten Angehörigen zweier seit Generationen verfeindeter Familien.« Sie schüttelt noch einmal vehement den Kopf. Eine einzelne Träne bahnt sich den Weg über ihre Wange und wird erst durch die Wölbung ihrer Oberlippe gebremst.
»Er betrügt mich, Ben. Punkt. Er … betrügt mich!« Sie wischt die Träne energisch weg. Dann fischt sie ihre Tasche aus dem Fußraum und beginnt, darin zu kramen. »So ein Mist! Ausgerechnet jetzt liegt mein Handy zu Hause«, schimpft sie nach einer Weile und schmeißt die Tasche zurück. Ohne ein Wort zücke ich mein Mobiltelefon und reiche es ihr.
»Nein, Ben! Paris, … Europa …«
»Ich verdiene vielleicht nicht so viel wie du, aber das kann ich mir so gerade noch leisten«, stelle ich klar. »Ruf ihn an. Und lass dir die Zeit, die du brauchst.«
»Danke.« Sarah nimmt den Apparat entgegen, beugt sich vor und drückt mir einen schnellen Kuss auf die Wange. »Für alles«, sagt sie und sieht unter langen Wimpern zu mir auf. »Aber besonders dafür, dass du an Josie gedacht hast.« Dann richtet sie sich in ihrem Sitz auf, scheint dabei einen halben Meter zu wachsen, und wählt Daniels Nummer.
Ich weiß nicht, ob ich bleiben oder gehen soll, fühle mich mit einem Mal fehl am Platz – aber Sarah, die meine Unruhe offenbar spürt, legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel und erstickt damit jeden Drang in mir, zu fliehen. Kurz darauf meldet sich Daniel. Ich höre es nicht, ich sehe es an dem Zucken von Sarahs Mundwinkeln.
»Ich bin es, Dan … ja, ich höre dich gut. Du mich auch? Gut. Dann hör genau zu, du Scheißkerl, ich gebe dir eine Woche, um deinen Kram zu packen und zu verschwinden. Eine Woche, dann will ich dich nie wiedersehen.«
Ich verkrampfe mich unter ihrer Hand.
Gott, was ist das?
So verzweifelt und gebrochen Sarah noch vor einer Minute gewirkt hat, so wütend klingt sie jetzt. Mit einem Mal wird sie zynisch und beschimpft Daniel mit Ausdrücken, um die sie jeder Seemann beneiden würde.
Je mehr sie in Rage gerät, desto stärker weiten sich meine Augen. Diese Sarah kannte ich bisher nicht … aber sie gefällt mir.
Neben mir sitzt, absolut unverkennbar, die Schwester dreier Brüder, die sich von klein auf hat durchsetzen müssen, um nicht untergebuttert zu werden. Eine starke Frau, die sich nichts bieten lässt.
Nun, ich möchte nicht derjenige sein, den sie so anfährt. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass es Daniel ist, der Sarahs Temperament gerade zu spüren bekommt, widerstehe ich nur knapp der Versuchung, sie anzufeuern und ihr Beifall zu klatschen.
»Wie bitte?
Du
verstehst nicht, Daniel? Oh nein! … Nein, nein, ich verstehe
dich
nicht, du testosterongesteuerter Idiot! Ich sitze hier und warte auf dich, spreche bereits mit unserem Hochzeitsplaner und vertröste deine kleine Tochter jeden Abend, dass es nun nicht mehr lange dauert, bis sie ihren Daddy wiedersieht. Verstehst du eigentlich, was hier auf dem Spiel steht, Daniel?«
Der Anfang seiner Antwort geht ins Leere. Sarah presst das Handy an ihre Schulter und wendet den Kopf mit zusammengekniffenen Augen ab. Ihr Gesicht wirkt schmerzverzerrt. Sie schluckt schwer, um den Schluchzer, der wohl durch ihre Brust zuckt, zu unterdrücken.
Als sie das Handy wieder gegen ihr Ohr drückt und Daniels Erklärungsversuchen lauscht, verwandelt sich ihr Kummer erneut in Wut. Ich erkenne es an ihrem Blick. Irgendwann sprudelt es nur so aus ihr hervor: »Wie konntest du nur
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