Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
schmiegt dann ihre Wange an die feuchte Stelle. Eine leise Hoffnung kocht in mir hoch, doch ich schüttele sie ab, bevor sie mein Herz erreicht.
»Und die Wellen?«, fragt Sarah plötzlich.
»Hm?«
»Helfen mir die Wellen auch?«
Ich muss schmunzeln. »Und ob! Schließ deine Augen!« Von meiner Position aus sehe ich ihr Gesicht nicht, aber ich weiß, dass sie meiner Aufforderung folgt. Gemeinsam schweigen wir und lauschen dem Rauschen des Pazifiks. »Hörst du das?«, frage ich nach einer Weile. »Diesen Rhythmus? Mal ist er lauter, mal leiser, mal schneller, mal langsamer. Aber er ist immer da.«
»Und?«, fragt Sarah nach weiteren stillen Sekunden.
»Denk mal für einen Augenblick darüber nach, wie viele Menschen, Tiere … Wesen diesem Rauschen schon gelauscht haben. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich … damals, nach Shirleys Tod, war ich sehr oft hier. Die Weite des Ozeans, seine Wellen, diese Beständigkeit … all das hat mir geholfen, meine Proportionen zurechtzurücken. Das ist die Magie des fließenden Wassers. Wir sind … so klein, unsere Probleme vergänglich. Auch wenn wir das anfangs nie für möglich halten. Eine Welle schlägt ans Ufer, aber ist das wirklich ihr Ende? Nein, es geht immer weiter. Und die Lösung wartet. Irgendwo da draußen.«
Sarah schweigt weiter.
»Ich bin so froh, dass du da bist«, flüstert sie endlich und küsst noch einmal meine Hand.
»Ich bleibe, so lange du mich brauchst«, erwidere ich in ungewohnter Bestimmtheit.
Wir sitzen lange nebeneinander, beobachten gemeinsam, wie das Grau des Wassers zu einem tiefen Blau wird, und sehen Jack zu, der ohne jede Erfolgschance einigen Möwen hinterherjagt. Seinem Elan tut das keinen Abbruch, er versucht sein Glück immer wieder.
»Soll ich dich nach Hause bringen?«, frage ich schließlich, als die Sonne bereits auf halber Höhe steht und goldene Funken über die Wellen streut.
Sarah sieht mich an, ihr Mund öffnet sich … und schließt sich wieder, ohne eine Antwort gegeben zu haben. Sie blickt auf ihre Hände herab, durch die sie den mittlerweile trockenen Sand rieseln lässt. Und wirkt so unentschlossen. »Was ist?«, frage ich und bekomme ein Schulterzucken.
»Ich weiß nicht, ob ich Josie unter die Augen treten kann, ohne dabei wieder in Tränen auszubrechen«, gesteht sie. »Andererseits sehne ich mich nach meinem Bett. Ich fühle mich so erschöpft, ausgelaugt und leer … andererseits ist es so schön hier. So friedlich und ruhig. Und ich meine nicht nur … das hier.« Ihr Zeigefinger kreist durch die Luft, bevor sie mich ansieht. »
Du
… strahlst eine solche Ruhe aus. Und Gott weiß, was mich erwartet, wenn wir zurückkommen.«
Sie umfasst ihre Knie, legt ihr Kinn darauf und blickt über das Wasser. Dann seufzt sie, lässt die Arme fallen und erhebt sich. »Also los!«
Aus meinem alten Autoradio klingt Adeles Lied einer gescheiterten Liebe
›Someone like you‹.
Ich beschließe, es abzuschalten. Außerdem besteht die Gefahr, dass Daniels Affäre auch im Radio zum Thema wird. Sarah blickt stumm aus dem Seitenfenster und scheint doch nichts von dem zu sehen, was an ihr vorüberzieht. Vermutlich tragen sie ihre Gedanken in glücklichere Tage zurück und lassen sie immer wieder zwischen Wut und tiefer Kränkung schwanken. Ich überlasse sie sich selbst – glaube zu spüren, dass sie die Ruhe braucht. Erst kurz vor unserer Ankunft klappt sie die Sonnenblende herab und betrachtet sich in dem kleinen Spiegel. Ihre Augen sind noch immer leicht gerötet, aber längst nicht mehr so verquollen wie zuvor.
Als ich in die Straße einbiege, an deren Ende Sarahs Haus steht, traue ich meinen Augen kaum. »Duck dich!«, rufe ich geistesgegenwärtig und drücke das Gaspedal durch, anstatt abzubremsen. Sarah funktioniert, als hätte ich mit meinem Befehl einen Knopf an ihr betätigt. Sie klappt einfach zusammen, wie ein Taschenmesser. Vor dem großen Tor zu ihrer Einfahrt steht eine Horde Paparazzi. Auch Fernsehreporter – von Kamerateams begleitet – sowie einige Fans und Schaulustige haben sich vor der Villa der berühmten Familie eingefunden. »Diese verdammten Aasgeier!«, motze ich vor mich hin, während wir unbemerkt an der Menschenmasse vorbeifahren. An der nächsten Kreuzung biege ich ab und fahre nun auf einer schmaleren Straße hinter Sarahs Anwesen entlang. »Habt ihr einen Hintereingang?«
»Nein!«, antwortet Sarah im Hochkommen. Sie wischt sich eine Haarsträhne aus der Stirn und fährt dann über
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