Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
Schuldgefühle, das kann ich nicht länger leugnen.
Unglaubliche Schuldgefühle. Angefangen von unserem gestrigen Telefonat, das ich im Geist immer wieder Revue passieren lasse, und all den Beschimpfungen, die ich ihm dabei an den Kopf geschmissen habe, über die Vermutung, dass er nach eben diesem Telefonat Hals über Kopf aufgebrochen ist, um sich mir und meinem Temperament hier vor Ort persönlich zu stellen, bis hin zu der Annahme, dass er irgendwo auf seinem Weg zu mir, in eben dieser kopflosen Hektik, verunglückt sein muss. Auch wenn ich zu dem Unfall selbst noch keine genauen Informationen habe, außer dass Daniel zu keiner Zeit in ernsthafter Gefahr schwebte und es ihm momentan »den Umständen entsprechend gut« geht.
Welchen Umständen? Keine Ahnung!
Vor mir fährt ein schwarzer BMW, den ich erst bewusst wahrnehme, als mir seine Bremsleuchten vor einer roten Ampel abrupt und sehr bedrohlich nah kommen. Nur wenige Zentimeter vor der lackierten Stoßstange bringe ich Bens alten Mercedes zum Stehen. Nein, diese Bremsen haben nichts mit denen des Cayennes gemeinsam.
Konzentrier dich, Sarah, Herrgott noch mal!
Was bringt es, jetzt unachtsam zu sein und eventuell selbst noch einen Unfall zu verursachen? Und das mit Bens Auto.
… Ben!
Bei dem Gedanken an ihn wird mir seltsam zumute.
Diese vergangene Nacht … oh mein Gott, nie zuvor habe ich etwas auch nur halbwegs Vergleichbares erlebt. Unter der süßen Erinnerung löst sich meine rechte Hand wie von selbst vom Lenkrad. Federleicht fahre ich mir mit den Fingerspitzen über die Lippen. Niemand kann so sanft und gleichzeitig so nachhaltig küssen wie Ben. Mich zumindest.
Ihn auf diese Weise zu spüren und dabei zu realisieren – wirklich zu realisieren –, dass wir schlicht und einfach perfekt zusammenpassen, in jederlei Hinsicht … diese Erkenntnis ist Hölle und Himmel zugleich.
Denn im Umkehrschluss bedeutet sie doch eigentlich nichts anderes, als dass vieles von dem, worauf sich mein Leben bis vor kurzem noch stützte, reine Illusion war: Daniels und meine Liebe, der Plan unserer beider Leben, die wir gemeinsam verbringen und für den anderen da sein wollten, »in guten wie in schlechten Zeiten«, alles passé. Nur noch wenige Monate, dann hätten wir diese Worte wohl ausgesprochen. Momentan erscheint mir die Idee grotesk.
Die Ampel schaltet auf Grün, ich versuche, vorsichtig anzufahren – und würge den Motor dabei ab. Fluchend drehe ich den Schlüssel im Schloss und starte erneut. Diesmal klappt es. Kaum habe ich es in den dritten Gang geschafft, driften meine Gedanken erneut ab.
Nein, zwischen Daniel und mir hatte es dieses prickelnde, aufregende Gefühl, das sich von Beginn an zwischen Ben und mir eingestellt hatte und das sich – entgegen jeder Vernunft – immer weiter und unaufhaltsam ausgebreitet hatte, nie gegeben.
Daniel war unglaublich höflich gewesen, akkurat und … ja, schon so erwachsen, als ich ihn damals kennenlernte.
Er ist zehn Jahre älter als ich und war auch zu dieser Zeit bereits ein gestandener, sehr bekannter Schauspieler, zu dem ich beruflich mit großen staunenden Augen aufblickte und den ich privat vermutlich deshalb so anziehend fand, weil er vieles von dem verkörperte, wonach ich mich enorm sehnte.
Das, was Daniel mir immer gegeben hatte – zu jeder Zeit, bis zu dem gestrigen Morgen –, war ein tiefes Gefühl von Sicherheit. Trotz des mir immer noch fremden Landes, trotz meiner einsamen Mission, die mich von meiner Familie weg hierhin geführt hatte, war ich mit ihm an meiner Seite nie allein gewesen.
Vielleicht hatte ich dieses Gefühl der Sicherheit mit Liebe verwechselt … oder vielleicht war es wirklich Liebe gewesen, nur eben eine andere Art.
Denn mit dem, was ich seit geraumer Zeit schon für Ben empfinde, hatte all das nie etwas zu tun gehabt.
Allein der Gedanke an Ben – diesen sensiblen großen Mann mit den silberblauen Augen und dem bezaubernd schüchternen Lächeln – berührt eine andere, vollkommen neue und sehr tiefliegende Stelle meines Herzens. Und diese unbekannte Tiefe beginnt mich zunehmend zu ängstigen, denn langsam wird mir klar, dass es für Bens und meine Liebe nur genau zwei Möglichkeiten gibt: Entweder, sie wird unserer beider Leben komplettieren … ober aber komplett zerstören – zumindest meines.
Wenn es mir nämlich jetzt schon so weh tut, mir selbst gegenüber den Irrtum mit Daniel einzugestehen, die Kränkung, die seine Affäre mit sich gebracht hat, zu verdauen
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