Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
hier vertan, befürchte ich.«
»Wie jedes Jahr?«, fragt mein leicht begriffsstutziger Neffe. Amy nickt. »Ja! … Hier steht jedenfalls dein Name drauf.«
»Cool, danke!«, erwidert Matty, ergreift mit der einen Hand das Geschenk, mit der anderen Julies Ärmel und verschwindet mit seiner Freundin im Haus. Jack folgt den beiden in letzter Sekunde, bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fällt. Amy und ich bleiben allein zurück.
Ein Vorschlag: …
Drehen wir die Zeit ein wenig zurück – etwa anderthalb Stunden – und richten unseren Blick auf das Haus, das dem von Fred und Carolin am nächsten steht.
Dicker Rauch quillt aus dem Schornstein, das Dach ist weiß bedeckt, und auf dem langen Holzsteg, der von dem Haus aus über den zugefrorenen See führt, glitzern Eiskristalle.
So friedlich und besinnlich das Bild auch sein mag, im Inneren des Hauses geht es längst nicht so ruhig zu. Julie Andrews, sechs Jahre und vierunddreißig Tage alt, ist vor nicht einmal fünf Minuten erwacht, ins Wohnzimmer herabgelaufen … und dann wieder hinaufgestürmt, ins Schlafzimmer ihrer Mom.
Die hat das alles gehört, tut aber nach wie vor so, als würde sie noch schlafen. Begleiten wir sie ein wenig, ja?
SIE und das, was du von ihr wissen solltest: Sie ist nicht sehr groß, normal gebaut und immer recht blass. Lange, dunkle Haare fallen in großen Wellen über ihre Schultern herab. Die sanften, grünen Augen sind das Auffälligste in ihrem hübschen Gesicht.
Sie ist siebenundzwanzig Jahre und vier Monate alt, am letzten Tag des Löwen geboren und strahlt eine beinahe kindliche Unbefangenheit und Lebensfreude aus.
Sie ist die einzige Tochter einer Hausfrau und eines Architekten. So gut wie niemand erinnert sich jetzt noch daran, dass sie bis vor ein paar Jahren abgekapselt lebte und sehr, sehr still war. Erst Julies Vater gelang es, ihr wahres Ich freizulegen und sie richtig mit dem Leben vertraut zu machen.
Heute liebt sie es, zu malen, isst am liebsten Hackbraten und trinkt für ihr Leben gern Cola oder heißen Tee. Außerdem verschlingt sie Bücher und liebt Musik, spielt leidenschaftlich gern Klavier und geht hin und wieder am Wochenende mit Freunden aus. Am meisten jedoch liebt sie ihre kleine Tochter … und den Nachbarsjungen, der Julies allerbester Freund ist und dessen Geheimnis nur sie kennt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Und – was vielleicht am wichtigsten ist – sie hat ein besonderes Verständnis für den jüngeren Bruder ihrer Nachbarin Caro, den sie seit dem Winter kennt, in dem ihre Tochter geboren wurde, und mit dem sie sich auf gewisse Weise schon immer verbunden fühlte. Denn auch sie hat einen geliebten Menschen verloren.
Ich gebe das Wort an Schützling Nr. 791.100.231
alias Amy Marie Andrews
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Amy erzählt.
M ommy, Mommy, steh auf!« Julie zerrt an meiner Bettdecke und klettert, als das nicht den erhofften Erfolg bringt, auf meinen Bauch. Ich bin schon lange wach, aber dieses Spiel hat so was wie Tradition bei uns.
»Mommy«, mault sie. Mit beiden Daumen hebt sie meine geschlossenen Augenlider an. »Der Baum ist geschmückt, und darunter liegen ganz viele Geschenke. Darf ich eins aufmachen?«
Die Art, wie sie mich ansieht, mit diesen großen dunklen Augen und der Begeisterung, die dieser besondere Morgen mit sich bringt, lässt mich auflachen. Ich umfasse ihre kleine Taille, drehe sie unter mich und kitzele sie durch. »Guten Morgen, meine Süße! Ich wünsche dir ein wunderschönes Weihnachtsfest. Und ja, natürlich gehen wir jetzt Geschenke auspacken. Und zwar nicht nur eins.«
Julie jubelt und drückt mir einen Kuss auf die Nase. »Klasse! Frohe Weihnachten auch für dich, Mommy!«
Ich streife mir meinen Morgenmantel und Julie dicke Socken über, dann gehen wir runter, in den großen Wohnraum. Ich halte meine Tochter nur mit Mühe davon ab, sich sofort auf die Geschenke zu stürzen. Stochere erst die restliche Glut des Kaminfeuers an, lege neue Scheite auf und suche dann nach einer CD mit Weihnachtsliedern. Julie hüpft derweil ungeduldig auf und ab und lässt den Baum und die Geschenke dabei nicht für einen Moment aus den Augen.
»Die Hälfte!«, erinnere ich sie an unser Abkommen. »Wenn Omi und Opi nachher kommen, darfst du die anderen auspacken.«
Sie nickt eifrig, schmeißt sich auf die Knie und fängt sofort an. Mit dem größten, wie könnte es auch anders sein.
Die kommenden Minuten verbringe ich damit, ihr beim Auspacken zuzusehen. Es ist wie jedes
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