Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
dem geliebten Findelkind eingeflößt. Schließlich sollte Rhonan Krieger und kein armseliger Fischer werden. Sie hatte Erfolg: Die Fischersleute verkauften ihn an die Minengilde, und Rhonan war fortan auf sich allein gestellt. Das harte und einsame Leben hatte den gewünschten Erfolg gebracht: Er war stark, ausdauernd, gefühlskalt und abweisend geworden. Jede Gefahr hatte er gemeistert, jede tiefere Beziehung gemieden. Aber seit er seinen Begleitern begegnet war, hatte er sich verändert. Gideon schien er bedingungslos zu vertrauen, und Caitlin, diese dusselige Ziege, vergötterte er. Ihr Sohn lernte tanzen und Zöpfe flechten und suchte Haarspangen und kleine Schuhe unterm Bett. Statt den eigenen Körper zu stählen, bestritt er lustige Turnübungen mit dem Weisen und alberne Fechtkämpfe gegen die Priesterin. Statt sein Schwert zu schärfen, kämmte er die Haare seiner Frau. Seine harte Schale hatte Risse bekommen, und der Kern schien unerfreulich weich zu sein! Das war nicht hinzunehmen. Um die Aufgabe zu erfüllen, die vor ihm lag, durfte er nicht abgelenkt werden durch Gefühlsduselei. Sie selbst konnte nicht zu ihm vordringen. Alle Versuche, sich ihm zu nähern, erstickte er im Keim. Das Vertrauen, das er dem Weisen entgegenbrachte, versagte er ihr. Alle tieferen Gefühle schien die Priesterin freizulegen, nur um sie sofort für sich allein zu beanspruchen. Diese dumme Gans hatte ihn sogar dazu gebracht, ihr von der Mordnacht auf da’Kandar zu erzählen. Das erste Mal in seinem Leben hatte Rhonan jemandem davon berichtet, und das erste Mal seit dieser Nacht hatte er geweint. Ihr starker Sohn hatte geweint und sich wie ein Kind von seiner Frau trösten lassen. So würde er versagen!
Ihr blieb nur eine Möglichkeit. Sie hatte schon so viele Opfer bringen müssen. Sollte ihr Sohn ihr nächstes Opfer sein?
Keiner der Erben hätte sagen können, wie lange sie sich schon im Eispalast aufhielten. Da es weder Nacht noch Tag gab und es immer gleichbleibend hell war, orientierten sie sich an den Mahlzeiten und ihrer Müdigkeit.
Übungen fanden nicht mehr statt, ihre Ausbildung schien abgeschlossen. Sie feierten das an einem wie üblich überreich gedeckten Tisch, und Gideon lehnte sich zufrieden zurück. »Oh, wie werden mir gefüllte Tauben fehlen, kandierte Früchte oder vollmundiger Wein!«
»Es freut uns, dass unsere Bewirtung euch zusagt.« Palema und ihre Schwestern waren wieder einmal aus dem Nichts erschienen, und alle drei sahen ernst, eher noch feierlich drein.
Dala nickte ihnen zu. »Wir haben euch vermittelt, was ihr zur Bewältigung eurer Aufgaben wissen oder können müsst. Alles andere liegt an euch! Uns bleibt nur noch eins zu tun. Folgt uns!«
Die Stimmung bei den Erben schlug um. Eben noch vergnügt und unbeschwert, ergriff jetzt eine nahezu erhabene Spannung von ihnen Besitz. Etwas Großes erwartete sie, aber würde es vielleicht zu groß sein für einfache Menschen?
Caitlin drängte sich an Rhonan, und der ergriff ihre kalte Hand und drückte sie beruhigend. Gideon, wieder einmal auf sich allein gestellt, faltete die Hände und schritt neben ihnen her.
Sie durchquerten einen Flur, der sich wie üblich von dem einen auf den anderen Augenblick veränderte, und standen unvermittelt in einem durch glitzernde Eiszapfen begrenzten Rund, in dessen Mitte ein hüfthoher Sockel aus Eis emporragte. Ein sanfter, bläulicher Schimmer lag über ihm. Die Stille des Eispalasts wurde hier gestört vom Knistern und Tröpfeln der Zapfen. Wasserlachen bedeckten den eisigen Boden, und Kälte ließ die Erben frösteln. Die durch Magie verursachte behagliche Wärme fehlte, aber die Eiszapfen waren viel zu gleichförmig, um natürlich zu sein.
Caitlin hätte schwören können, dass die Unsterblichen älter wirkten, und sie selbst verspürte Furcht. Die Atmosphäre knisterte wie die Zapfen.
Als Palema forderte: »Kniet nieder!«, kamen alle der Aufforderung umgehend nach.
Die Unsterblichen schritten zum Eissockel und nahmen etwas an sich. Der Schimmer darüber erlosch.
Palema ging zu ihrem Sohn und legte ihm ein schlichtes, schmales, blau schimmerndes Armband um. »Du bist mein Erbe! Trag dieses Geschenk der Götter und benutze es zum Wohl der Menschen!«, erklärte sie dabei mit volltönender Stimme.
Dala legte Gideon mit denselben Worten einen Reif um, und Caitlin erhielt ihren von Myria. Auf eine Geste hin erhoben sich die drei wieder.
Gideon spürte einen Kloß im Hals, eine Gänsehaut am ganzen
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