Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
El’Marans
Warm spiegelte sich Kerzenschein im polierten Holz der Truhen. Ein gestickter Wandteppich zeigte die Krönung Umbrosius’, des ersten Königs von El’Maran. Bestickte Zierkissen schmückten den Diwan, und um einen Tisch herum standen sechs Lehnstühle mit dicken Lederpolstern. Ein weißer Fliederstrauß verströmte seinen Duft.
Gleich würde der Ausrufer das Ende des Tages verkünden.
Morwena Far’Lass, Königin von El’Maran, stand am geöffneten Fenster ihres Gemachs und blickte über Mar’Elch. Zum Geburtstag der geliebten Herrscherin hatten ihre Untertanen die Reichsstadt wie jedes Jahr in ein Flammenmeer verwandelt, und überall loderten Freudenfeuer in den Nachthimmel. Straßen und Stadtmauern waren in Fackelzüge verwandelt worden. Aufgehende Sterne am Himmel, erlöschende Feuer auf der Erde: Es war ein traumhafter und unglaublich friedvoller Anblick.
Fürst Darius trat vom Fenster zurück und betrachtete die Königin, wie sie an ihren Ziehsohn Canon gelehnt auf die Stadt blickte. Im Schein der Kerzen sah man weder die grauen Strähnen im weißblonden Haar noch die Fältchen, die Augen und Mundwinkel ungewollt betonten. Ihre Figur war die einer jungen Frau, denn Feldzüge hielten ihren Körper schlank und straff.
Die letzten einer wahren Heerschar von Gästen waren gerade gegangen, und Morwena unterdrückte ein Gähnen. Ihr Blick wanderte zur Tür, wohl zum hundertsten Mal an diesem Tag.
»Gib’s endlich auf!«, forderte Darius schroffer als beabsichtigt, weil er sich diesen Satz schon zu lange verkniffen hatte. »Er wird nicht kommen. Wie ich deinen Sohn kenne, hat er es wieder einmal schlicht vergessen.«
Canons Augen verengten sich sofort zu Schlitzen. »Verzeiht, Fürst, aber mein Bruder kämpft am Blauen Fluss gegen die Horden. Es ist bedauerlich, aber oftmals nimmt der Feind keinerlei Rücksicht auf eigene Wünsche oder Zeitpläne. Niemals würde Derea den Geburtstag unserer Mutter vergessen.«
»Du musst deinen Bruder mir gegenüber nicht in Schutz nehmen. Ich kenne ihn schließlich lang genug.« Darius, dem man aufgrund des muskulösen Körpers zwar den aktiven Krieger ansah, aber nicht den Mann, der die Lebensmitte längst überschritten hatte – was vor allem daran lag, dass sein Haar noch braun und füllig wie in jungen Jahren war –, sah sich nach seinem Becher um. Ihm fiel ein, dass er ihn im großen Saal hatte stehen lassen, und er war nur dankbar dafür, dass bereits nach Getränken geschickt worden war, denn ihm war in seinem engen, dunkelblauen Festrock ungemütlich heiß. Doch nie hätte er gewagt, den Überrock auszuziehen, wie Canon es getan hatte, sobald sie die Privatgemächer betreten hatten. Morwena hätte mit Sicherheit nichts dagegen gehabt, aber er trug ein bunt besticktes Hemd, wie es nach den Worten seines Kammerdieners neuerdings für besondere Anlässe zwingend vorgeschrieben war. Morwenas Sohn hatte dies offensichtlich genauso wenig wie er mitbekommen und trug ein schlichtes weißes. Lediglich die Manschetten, die die weiten Ärmel zusammenhielten, zierte das eingestickte Wappen El’Marans: eine Krone, die im Feuer schwebte. Darius, der den ganzen Tag über tatsächlich kein einziges besticktes Hemd zu Gesicht bekommen hatte, wäre sich neben ihm wie ein alberner Geck vorgekommen.
Canons Stimme, die ihn erreichte, als er am hohen Kragen nestelte, war genauso eisig wie dessen Blick. »Mit Verlaub: Ihr kennt Derea eben nicht, sonst ...«
Morwena drehte sich zu ihm um, strich ihm über die Wange und unterbrach: »Streite nicht, Lieber! Was bedeutet schon ein Geburtstag? Oh, Canon, ich wäre nur gern sicher, dass er lebt. Warum hat er keine Verbindung zu dir aufgenommen?«
Ihr Ziehsohn hatte sich darüber auch schon seine Gedanken gemacht. Einziges Vermächtnis ihrer leiblichen Mutter, Königin Ayala, war, dass sein Bruder und er sich geistig verständigen konnten. Sie taten es jeden Tag, es sei denn, einer von ihnen war nicht in der Lage dazu. »Ich weiß es nicht, aber ich bin mir sicher, dass ...«
Aus der Halle ertönten der spitze Schrei einer Frau und ein Scheppern, und Canon vollendete völlig anders als geplant: »... dass das unser Schlaftrunk war.«
Erneut schepperte es, diesmal wesentlich lauter und blecherner.
»Urahn Umbrosius’ Rüstung«, erläuterte er, jetzt schon sichtlich erheitert. »Er ist in Eile! Gleich müsste er demnach an der Leuchtersäule sein. Das kann nicht gutgehen. Die Kurve kriegt er nie im Leben.«
»Oh,
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