Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
nur noch schlanke Stämme und Eis. Es war Gideon ein Rätsel, wie sich hier jemand zurechtfinden wollte, doch ihr Führer ritt zielstrebig voran. Der Gelehrte fragte sich, je mehr Zeit verging, allerdings, was dieses Ziel wohl sein könnte.
»Ich habe Hunger, und ich habe Durst«, beklagte sich Caitlin vor ihm gerade zum wiederholten Mal. »Außerdem tut mir alles weh. Ich bin Damensättel gewöhnt und nicht diese ... diese unbequemen Dinger. Ich kann nicht mehr weiter und verlange eine Rast.« Ihre Stimme war zuvor von Mal zu Mal schriller geworden, aber jetzt klang sie nur noch jämmerlich.
Gideon unterstützte sie daher. »Verfolgt werden wir doch nicht. Könnten wir nicht zumindest eine kurze Rast einlegen? Wir haben seit dem Frühstück nichts gegessen und ... ich habe zwar nicht die leiseste Ahnung, wie spät es ist, ... aber lang hin bis zum Abend kann es nicht mehr sein.«
»Schon gut«, brummte Rhonan. »Wir kommen gleich an einen See.« Eigentlich war nichts gegen eine Rast einzuwenden, aber er wollte so schnell wie möglich die Sicherheit der Mine erreichen, sich Gideons Geschichte anhören und sich dann wieder verabschieden. Seit er Caitlin gesehen hatte, hatte sich dieser Wunsch um ein Vielfaches verstärkt.
Endlich hatten sie den kleinen See erreicht. Da er von einem Bach gespeist wurde, war er noch nicht ganz zugefroren. Die Tiere des Waldes kamen in den frühen Morgenstunden oder in der Abenddämmerung zur Tränke. Jetzt hatten sie den See und die kleine Lichtung für sich allein. Es hatte mittlerweile aufgehört zu schneien, und die tiefstehende Wintersonne hatte die Wolkendecke durchbrochen.
Gideon genoss nach der langen Dämmerung des Waldes den ersten freien Blick in den Himmel und die Wärme der Sonne, half Caitlin beim Absteigen und breitete fürsorglich eine Felldecke aus. Die Prinzessin sah wirklich erschöpft aus und ließ sich sofort mit einem tiefen Seufzer darauf nieder. Rhonan suchte Zweige und schichtete sie auf, während Gideon in seinen Satteltaschen nach Proviant kramte. Der Prinz hatte Umhang und Schwertgürtel abgelegt und schürte jetzt ein Feuer.
Caitlin hatte das erste Mal Gelegenheit, ihren neuen Begleiter genauer zu betrachten. Die Haare, in sämtlichen Blondschattierungen, die sie kannte, fielen ihm strähnig weit über die Schultern. Das Gesicht war schmal, scharf geschnitten und unrasiert und wirkte herb, eher noch düster. Dieser Eindruck wurde noch durch eine Narbe unterm linken Auge verstärkt. Bemerkenswert waren sicherlich die dunkelgrünen Augen, die sie unwillkürlich an Moos hatten denken lassen. Allerdings wirkten sie seltsam trüb. Der Prinz war groß und breitschultrig, aber sehr schlank, wirkte eher sehnig als kräftig. Die dunkle Kleidung war alt und schäbig. Er trug auch nicht die im Süden gebräuchlichen längeren Kittel und weiten Hosen, sondern unter einer speckigen Weste ein kurzes, vorn geschnürtes Hemd aus grobem Tuch und enganliegende Lederhosen, Kleidung, wie sie von Nordmännern bevorzugt wurde. Sie war genauso ungepflegt wie der Mann, der sie trug. Er hinkte jetzt noch stärker, und seine Bewegungen wirkten unbeholfen. Alles in allem war er tatsächlich nichts weiter als ein heruntergekommener, offensichtlich auch noch trinkender Krüppel.
Er schien zu spüren, dass sie ihn beobachtete, und ihre Blicke trafen sich kurz. Beide sahen sofort wieder weg, und er erhob sich schwerfällig mit den Worten, noch Holz holen zu wollen.
»Ich kann das doch machen«, erbot sich Gideon hilfsbereit. »Ihr seht aus, als würdet Ihr auch Ruhe benötigen. Der Sturz vom Pferd hat Eurem Bein bestimmt nicht gutgetan! Soll ich Euch nicht zumindest helfen?«
»Nicht nötig«, grummelte Rhonan unwirsch und verschwand schon zwischen den Bäumen. Er spürte die Blicke seiner Begleiter im Rücken und war sich mehr als deutlich seines linkischen Ganges bewusst. Wütend schlug er mit der Faust gegen einen Stamm und atmete ein paar Mal tief durch. Sein verfluchtes Bein brauchte dringend Ruhe, aber er brauchte sie noch viel dringender. Er konnte noch nicht einmal sagen, was ihm mehr zusetzte: der angewiderte Blick der Frau oder der mitleidige Blick des Mannes. Er kannte diese Blicke seit Jahren, aber er konnte sich einfach nicht an sie gewöhnen. Das war einer der Gründe dafür, warum er sich gern unter Bettlern, Tagedieben und Talermädchen aufhielt. Dort war er lediglich ein weiterer Krüppel. Missmutig suchte er Äste zusammen. Er hörte Caitlin angstvoll
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