Neobooks - Die Zitadelle der Träume
über den Hof und auf den Wehrgang. In ihren Gesichtern spiegelte sich längst keine Angst mehr. Eine Schlacht hatte ihre eigenen Gesetze. Hatte man genug Tod und Blut gesehen und Stöhnen und Schreie gehört, verschwand die Furcht einfach, genau wie jedes andere Gefühl. Man kämpfte nur noch ums nackte Überleben, tat, was man glaubte, tun zu müssen, und erst die Ruhe brachte Angst und Grauen zurück.
»Kommandant, der anhaltende Regen löscht die Feuer. Nicht einmal die Planen können das noch verhindern.«
Die Bemerkung eines Gardisten riss ihn aus seinen Gedanken. Er stieß sich von der Mauer ab und straffte sich wieder. »Das wird zum Glück nicht nur uns so gehen. Müssen wir die Geschütze eben zertrümmern und nicht verbrennen. Steine in die Katapulte!«
Der Gardist entfernte sich eilends nach kurzem Nicken.
»Es wird schon dunkel. Glaubt Ihr, sie greifen trotzdem noch an?«
Canon sah den alten Mann neben sich an und erkannte Theatermeister Rolof. Dessen Stirn zierte eine blutige Schramme, die Kleidung klebte am Körper.
»Die Horde kämpft, bis ihr Kommandant ihr gestattet, eine Rast zu machen. Das wird sobald nicht der Fall sein. Tag oder Nacht spielt für sie keine Rolle. Aber glaubt mir, Ihr könntet jetzt ohnehin nicht schlafen.«
Auf dem Wehrgang wurde bereits laut nach ihm gerufen. Er drückte noch einmal kurz die Schulter des Theatermeisters und lächelte aufmunternd. »Denkt an den Beifall, der Euch nach diesem Stück erwartet. Ich kann Euch versichern, nichts ist erhebender als der Jubel der Menge nach einer gewonnenen Schlacht. Ich kenne ihn gut, denn ich habe noch nie eine Schlacht verloren.«
Er wandte sich ab, und Meister Rolof sah ihm hinterher, als er zum Wehrgang eilte. »Welche Begabung! Wir können niemals gewinnen, und er strahlt trotzdem solch unglaubliche Zuversicht aus. Er wäre ein begnadeter Schauspieler geworden«, raunte er seufzend. »Was für eine Verschwendung!«
Kurze Zeit später hörte er die laute Stimme des Prinzen. »Schützen: jetzt!«
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5. Kapitel
Rhonan betrat die kleine Gaststube. Das Licht in der Kalten Sonne war schummrig und die Luft verqualmt. Es stank nach billigen Talgkerzen, Kohl und Selbstgebrautem. Er ließ kurz seinen Blick durch den Raum schweifen und ging dann zum Tresen. Keiner der Gäste schenkte ihm größere Beachtung. Auch schien es hier niemanden zu wundern, dass ein Gast die Kapuze nicht abnahm.
Der Wirt musterte ihn kurz und kniff die Augen zusammen. »Rhonan?«, fragte er ausgesprochen leise, aber ebenso erstaunt. »Du hast vielleicht Nerven, hierherzukommen. Sie suchen überall nach dir.«
»Ich weiß, Kord. Ich muss hier weg. Ist der alte Schmugglerpfad noch frei?«
Der Wirt beugte sich noch weiter über den Tresen, um näher an seinen Gast heranzukommen. »Der Pfad wohl schon, aber du kommst nicht dahin. Die weiße Braut ist Quartier der Horden geworden. Die lassen dich bestimmt nicht ohne weiteres in ihren Keller.« Er schob dem Prinzen ungefragt einen Becher Selbstgebrautes hin.
Der nahm den Becher zwar, trank aber nicht. »Verdammt! Weißt du, ob Quinta noch in Kairan ist?«
»Ist er, aber versuch lieber nicht, mit ihm Verbindung aufzunehmen. Auf dich ist mittlerweile ein Kopfgeld ausgesetzt, für das man Könige auslösen könnte. Dafür würde selbst Quinta seine einzige Tochter verkaufen. Willst du was essen?«
Rhonan schüttelte geistesabwesend den Kopf. Bevor er noch etwas sagen konnte, fuhr der Wirt fort: »Seit einigen Tagen kommt jeden Abend ein Junge her und sieht sich um. Sucht angeblich einen blonden Mann, der einen Ring verloren hat. Der Mann soll ein guter Freund seiner Tante Marga sein. Roslin meint, er sucht nach dir. Kennst du eine Marga? Könnte die dir vielleicht weiterhelfen? … Du trinkst gar nicht. Willst lieber Branntwein, nicht wahr?«
Der Prinz schluckte schwer, stellte den Becher ab und vergrub die plötzlich zitternden Hände in den Taschen seines Umhangs. »Danke, aber ich bleib besser nüchtern, wenn halb Kairan hinter mir her ist.«
Er überging Kords erstaunten Blick und versuchte, sich zu erinnern. Er hatte Fürst Darius ’ Tochter bestimmt in seiner Kindheit irgendwann einmal kennengelernt, aber er wusste es nicht mehr, hatte an die Zeit vor dem Brand kaum noch Erinnerungen. Gideon hatte ihm von Marga berichtet. Nach seinen Erzählungen war die Hauptmännin tüchtig und vor allem vertrauenswürdig. Wenn sie schon zum Schutz des einen Siegelerben geschickt worden war, konnte es
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