Neobooks - Die Zitadelle der Träume
Schultern da wie ein nasser Sack und fühlte sich auch so.
Rhonan wandte sich seiner Frau zu. Sein Blick war unergründlich, seine Stimme tonlos. »Geh wieder hinein, Liebes. Ich verspreche dir, ich werde nichts tun, aber ich möchte gern eine Weile allein sein.«
Sie sah wenig begeistert aus und schüttelte immer wieder den Kopf. »Komm mit mir! Ich könnte dir helfen, wieder einzuschlafen.«
»Gleich!« Er sah, dass sie sich weigern wollte, ergriff ihre Hände und drückte sie. »Bitte, Caitlin, versteh doch: Ich brauche jetzt etwas Zeit für mich.«
Schweren Herzens nickte sie und folgte den anderen ins Haus.
Er saß auf einem gefällten Baumstamm und starrte in den sternenklaren Nachthimmel. Es wehte ein leichter Wind, der neben Schneestaub von nahen Tannen auch den würzigen Duft der Angusbäume zu ihm herübertrug. Ganz in der Nähe heulte ein Wolf. Es war eine Nacht wie viele andere, und doch war sie ganz anders. Der Himmel erschien ihm dunkler als je zuvor, die bleiche Sichel des Mondes wirkte nicht fern, sondern bedrohlich, und die gewohnte Kälte traf ihn heute bis ins Mark.
Immer wieder hatte er sich in den vergangenen Jahren ausgemalt, wie es sein würde, dem Mörder seiner Familie gegenüberzustehen. Jedes Mal hatte er ihn getötet und seine Familie gerächt. Heute hatte er vor ihm gestanden, und er hatte es nicht gekonnt. Er hätte nur zuschlagen müssen, und er hatte es nicht getan.
Er hatte versagt und sah die anklagenden Gesichter der Opfer von da’Kandar vor sich, hörte die qualvollen Todesschreie dieser Nacht, sah Köpfe rollen, Blut spritzen, Flammen lodern und nahm den fürchterlichen Gestank von verbranntem Menschenfleisch wahr.
Er hatte gehofft, an Caitlins Seite wäre endlich die Zukunft angebrochen, aber die Vergangenheit ließ ihn nicht los, drängte immer wieder an die Oberfläche. Bis zu seinem Tod würden die Schrecken dieser einen Nacht ihn verfolgen.
Ob sie schwächer werden würden, wenn er den General tötete? Hatte er überhaupt eine Wahl? Die Stimmen seiner Mutter und seiner Geschwister summten wie wütende Bienen in seinem Kopf, schrien laut und immer lauter und drängend und immer drängender nach Vergeltung. Er sah ihre Gesichter auf abgeschlagenen Köpfen, sah, wie sie sich vor Wut verzerrten. Bilder von zornigen Fratzen flimmerten vor seinen Augen, klagende Stimmen übertönten jedes reale Geräusch.
Er konnte es nicht ertragen und krümmte die Finger seiner verletzten Hand, soweit es ging. Er presste sie gegen den Druck der Bandagen auf den Baumstamm, um vielleicht mit körperlichem Schmerz den unerträglichen Schmerz in seiner Seele zu verdrängen. Doch die Toten gaben nicht auf. Er hörte Schreie und mittendrin die Stimme seines Vaters, die ihn aufforderte, auf sein Herz zu hören, um immer den richtigen Weg zu gehen.
Das hatte ihm sein Vater neben ständigen Ermahnungen auch einmal gesagt, und dieser Satz hatte sich eingebrannt, denn zum ersten und einzigen Mal hatte er sich selbst Bedeutung beigemessen. Er hatte auf sein Herz gelauscht, hatte gehofft, es würde nicht nur regelmäßig schlagen, sondern ihm etwas raten. Aber er hatte nichts gehört.
Auch heute hörte er nichts. Am liebsten hätte er in den Nachthimmel gebrüllt. Welcher war der richtige Weg, und wie sollte er ihn gehen können, wenn er ihn erkannte? Sein Weg war vorgezeichnet, von den rot züngelnden Flammen da’Kandars und vom eisblauen Feuer Kahandars! Es gab gar keine Entscheidung. Seine Zukunft lag nicht in Caitlins Armen, denn sein Erbe waren die Quelle, Camora und Rache. Diese Erkenntnis ließ ihn zittern.
Sein Blick suchte unwillkürlich den Gipfel des Wintergebirges. »War das dein Werk, Palema? War das das Geschenk, von dem du sprachst? Hat es dir nicht gereicht, mich an dein verfluchtes Schwert zu binden? Hast du geglaubt, die Gegenwart wäre nicht schrecklich genug für mich? Musstest du auch noch die Vergangenheit ausgraben?«
Nur für ihn hörbar erklang ihre zornige Stimme. »Ist das dein Dank? Ich habe dem General tatsächlich die Träume geschickt, die ihn dazu bewogen, dich zu suchen. Oh, wie ich mich auf dieses Treffen gefreut habe, wie ich es herbeigesehnt habe. Wie eine Fliege hättest du ihn zerquetschen können. Hätte ich vielleicht damit rechnen müssen, dass du jetzt dort sitzt und Trübsal bläst? Steh auf und erschlage den Mann, der uns beide vor fünfzehn Jahren fast umgebracht hätte! Hast du vergessen, wie Brandwunden schmerzen? Ich nicht. Noch vor kurzem
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