Neobooks - Die Zitadelle der Träume
war noch dunkler als üblich, als er fragte: »Was erwartet Ihr eigentlich von mir? Glaubt Ihr ernsthaft, ich könnte mit einem Mann zusammen reisen, dem ich dabei zusehen musste, wie er meine Familie zerhackt und verbrannt hat?«
»Ja!« Derea senkte den Blick, sah auf seine kalten, zitternden Hände und glaubte selbst kaum, was er da gesagt hatte.
»Ja? Könntet Ihr das?«
»Nein«, gab er leise, aber unumwunden und aus vollem Herzen zu. »Aber ich bin davon überzeugt, dass Ihr es könnt. Ich hätte ihn vermutlich erschlagen und wenn ich mich vorher durch zehn Menschen hätte hindurchkämpfen müssen. Ich habe aber auch keine Ehefrau, die ich schützen muss. Ihr habt gezögert, und ihr sitzt jetzt hier und fragt Euch, was wichtiger ist: die Vergangenheit oder die Zukunft? Raoul könnte mit all seinen Verbindungen und mit seinen Kenntnissen von Camoras Armee sehr hilfreich sein. Auch als kämpfender Reisegefährte ist er nicht zu unterschätzen. Wollt Ihr Eure tote Familie rächen, oder wollt Ihr das Überleben Eurer Frau sichern?«
Er sah, wie der Prinz erschauerte, und fuhr mit matter Stimme fort: »Soll ich Euch etwas sagen? Ihr hättet ihn gleich zu Anfang töten müssen … aus dem Augenblick heraus, ohne jede Überlegung. Jetzt ist es für Euch zu spät, viel zu spät. Ihr habt Euch längst entschieden – gegen Eure tote Familie und für Eure lebende Frau. Ihr wisst nur nicht, wie Ihr selbst mit dieser Entscheidung leben sollt. Ich kann Euch keine Hilfe anbieten, ich wüsste es auch nicht.«
Eine Weile schwiegen beide.
Dann erklärte der Prinz müde: »Die Hexe hatte recht: Ich wäre lieber im Kerker geblieben.« Er stand abrupt auf, ging einige Schritte und schlug dann ein paar Mal heftig mit der linken Faust gegen einen Baum. Schnee rieselte von den Ästen.
»Lasst wenigstens eine Hand ganz! Wir sind noch nicht in Sicherheit«, bemerkte Derea heiser und ohne jedes Lächeln. Eine unglaubliche Trauer hatte sich in ihm ausgebreitet und ein ebenso unglaublicher Hass auf seinen Vater und letztlich sogar Hass auf sich selbst, weil er versucht hatte, den Prinzen von einer Tat abzuhalten, die er selbst sofort und mit den besten Gefühlen begangen hätte, denn nichts, rein gar nichts konnte die Taten des Generals in besserem Licht erscheinen lassen.
Er fuhr herum, weil sich jemand näherte, aber seine Hand ließ den Schwertknauf umgehend wieder los, denn es war Caitlin, die mit besorgtem Gesichtsausdruck zwischen den Bäumen hindurchkam.
Sie warf Derea nur einen kurzen Blick zu und ging geradewegs auf ihren Gatten zu, nahm dessen linke Hand in ihre, betrachtete die von der Rinde aufgeschürften Fingerknöchel mit leichtem Kopfschütteln und schimpfte liebevoll: »Als wenn gerade du es noch nötig hättest, dir selbst Verletzungen zuzufügen.«
Zärtlich zog sie seinen Kopf zu sich herunter.
Derea erhob sich und ging. Das Letzte, was er hörte, war ein tiefes Schluchzen und Caitlins leise, tröstende Stimme. Er wusste, dass er gewonnen hatte, und hätte sich vor lauter Glück am liebsten hinterm nächsten Baum übergeben.
Kurz vor der Tür stieß er auf den General, der offensichtlich seinen Rundgang machte. »Geht mir aus dem Weg!«, schnaubte er bissig.
»Du bist doch auch ein Krieger«, erwiderte der unwirsch. »Erzähl mir jetzt nicht, du hättest noch nie getötet.«
»Kinder, Frauen und alte Leute? Seid Ihr von Sinnen? Ich bin bestimmt nicht auf alle meine Taten stolz, aber zumindest habe ich nie zusammen mit meinen Feinden auch meine Ehre verbrannt.«
Dereas Augen waren dunkel vor Wut. »Hättet Ihr mir das angetan, was Ihr dem Prinzen angetan habt, hätte ich Euch erschlagen wie einen tollen Hund. Nichts Besseres habt Ihr verdient. Ich verachte Euch aus tiefstem Herzen.«
Raoul hielt ihn fest, als er sich an ihm vorbeischieben wollte. »Ich mich auch, mein Sohn. Das war der einzige Grund, weshalb ich deinen Bruder und dich nie aufgesucht habe. Ich habe immer wieder von euren ruhmreichen und ehrenvollen Taten gehört und habe mich meiner eigenen geschämt. Diese Nacht auf da’Kandar hat mein Leben verändert, Derea.«
Der entfernte unsanft, eher noch angewidert die Hand von seinem Arm. »Ich komme gerade von einem Gespräch mit jemandem, dem es genauso geht, nur dass er im Gegensatz zu Euch damals keine Wahl hatte. Jung und wehrlos musste er Eure Greueltaten mit ansehen. Heute hatte er eine Wahl, und er hat eine Entscheidung getroffen, die mich ihm auf ewig verpflichtet. Damit hat diese
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