Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
Sonnenschirm in der hintersten Reihe voll besetzter Tische vor einem Restaurant und war so tief in ihren Stuhl gerutscht, dass sie zwischen den anderen Gästen unauffällig blieb. Sie grüßte nicht und gab auch sonst nicht zu erkennen, dass sie seine Ankunft bemerkt hatte. Durch eine große Holly-Golightly-Sonnenbrille beobachtete sie die Straße und die Hafenpromenade. Ross drängte sich auf einen Stuhl und bestellte Kaffee. Er saß eine Weile neben ihr und blinzelte in den sonnigen Nachmittag, als er sie auf einmal wahrnahm. Zuerst war es nur eine Ahnung, dann wurde es eine deutliche Empfindung, wie in der Nacht im Wagen, nur dass er keinen Ärger empfand, sondern Unruhe. Er wandte sich ihr zu. Sie saß bewegungslos da und schien ihn zu ignorieren. Als er sie ansah, wurde das Gefühl so stark, dass er sie ansprach. »Was ist mit Ihnen?«
Sie änderte ihre Haltung nicht. »Wie lange wirkt das Zeug, das wir geraucht haben?«
»Vier, fünf Stunden.«
»Kriegt man davon auch Halluzinationen?«
»Gewöhnlich nicht.« Nicht von zwei kleinen Joints. »Haben Sie welche?«
»Entweder das, oder ich habe die Frau gesehen.«
Die Frau? Welche Frau? »Die aus der Bar?«
»Aus der Bar? Aus der Tiefgarage!«
Ross verstand nicht. Wen meinte sie? Ist sie irgendwie besonders sensibel und das Kiffen hat ihr geschadet? Wo bekomme ich jetzt schnell ein paar Valium her?
»Sie haben keine Ahnung, wovon ich spreche, nicht wahr?«
»Ehm … nein.«
»Am Steuer des Vans in der Tiefgarage saß eine Frau …«
Ross fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog.
»… und die habe ich vor ein paar Minuten unter den Bäumen vorbeigehen sehen.«
Er starrte sie bestürzt an. Shit, dachte er, das kann doch gar nicht sein. Die schaffen es nicht, mich zu erschießen und das Mädchen zu verschleppen, aber sie finden uns nach achtundvierzig Stunden in fünfhundert Kilometern Entfernung. Das passt nicht zusammen. Sie muss sich getäuscht haben, sagte er sich und verwarf den Gedanken sofort wieder. Sicher waren sie nur, wenn sie sich so verhielten, als ob die Kidnapper tatsächlich in der Nähe waren. Aber was sollten sie tun? Verzweifelt bemühte sich Ross um eine Idee, aber alles, was ihm einfiel, war, was er falsch gemacht hatte. Statt einen anderen Wagen zu besorgen oder einen Bahnhof oder Busbahnhof zu finden, statt Ziele und Fluchtwege zu bestimmen, statt Straßenkarten oder Fahrpläne zu studieren, statt Fahrkarten zu besorgen … hatte er einen Tag verschlafen und einen zweiten verplempert. Und jetzt?
Ich wünschte, ich hätte eine Pistole, dachte er. Er sagte: »Wir müssen los.«
»Wohin?«
Wohin? »Zuerst ins Hotel. Wenn wir verschwinden, ohne zu zahlen, haben wir auch noch die Polizei an den Hacken.«
Sie schob die Brille ins Haar und sah ihn über den kleinen Tisch hinweg an. »Und dann?«
Warum nicht, dachte er, reden wir. Solange wir hier sitzen und reden, passiert nichts Schlimmeres. Und es hilft mir beim Denken.
»Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Wir lassen uns vom Hotel einen Leihwagen besorgen. Das kann uns wertvolle Zeit kosten, und einer von uns muss eine Kreditkarte dafür hinlegen. Aber wenn wir schnell sind und nicht schon überwacht werden, dann könnten wir mit einem Leihwagen ziemlich weit kommen, bevor man uns wieder findet.«
»Wir werden nicht beobachtet«, sagte das Mädchen, »sonst hätte ich die Frau nicht gesehen. In der Tiefgarage haben wir sie auch erst bemerkt, als sie fast bei uns waren.«
Das ist nicht logisch, dachte Ross, wenn wir die Frau nur bemerken, weil sie keinen Grund sieht, sich zu verstecken, dann versteckt sie sich nicht, weil sie meint, dass wir nicht hier sind. Aber warum ist sie dann hier?
Das Mädchen musste sich getäuscht haben.
Sie sagte: »Und die zweite Möglichkeit?«
»Wir nehmen wieder unseren Wagen.«
»Das wäre Ihnen lieber.«
»Ja. Er ist gepanzert. Wenn wir erst einmal drinsitzen, sind wir unverwundbar und kaum aufzuhalten.«
»Aber?«
»Ich fürchte, dass er einen Peilsender trägt oder über das Navigationssystem lokalisiert werden kann.«
»Oh.«
Oh. Ross merkte, dass er gehofft hatte, dass sie etwas zur Lösung ihrer Probleme – seiner Probleme – beitragen würde, wenn er mit ihr sprach. Durch eine gute Idee, ein Wort oder eine Geste. Aber sie saß nur still da. Er sah auf und begegnete wieder einmal ihrem Katzenblick, diesmal ohne einen Spiegel als Mittler. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, dass sie seine Gedanken las.
Sie sagte, »Wohin
Weitere Kostenlose Bücher