Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
fahren wir?«
Ross antwortete nicht. Er wusste es nicht. Er wusste nicht einmal genau, wo sie waren.
»Warum fahren wir nicht einfach zum nächsten Flughafen?«
Was? »Morgen telefoniere ich wieder mit Hauser.«
»Warum morgen? Warum nicht heute?«
Sie hat recht, dachte er.
»Vielleicht weiß er heute schon, was er Ihnen morgen erzählen will. Und wenn er meint, wir sollten nicht fliegen – er kann uns nicht daran hindern. Wir können tun, was wir wollen, Walter.«
»Ja«, sagte er, »das stimmt.« Und wenn die Polizei auf uns wartet, dachte er, dann ist verhaftet immer noch besser als erschossen.
»Der nächste Flughafen ist in Bordeaux. Zweihundert Kilometer von hier.« Sie griff ihre Tasche und wollte aufstehen.
Er hielt sie zurück. »Moment noch. Wie sieht die Frau aus? Auf was muss ich achten?«
»Ein heller Hosenanzug, brasilianische Haare. Schlank, fast so groß wie Sie.«
Brasilianische Haare? Ross sagte: »Okay, sehen Sie sich noch mal um. Sehen Sie sie irgendwo? Nicht? Ganz sicher? Dann gehen wir jetzt zum Hotel. Nicht nervös werden. Vor all den Leuten hier wird nichts passieren.«
Sie stand auf und blickte aus ihrer erhabenen Höhe zu ihm hinab. »Ich bin nicht nervös.«
»Gut. Dann los.«
Ross sah sich auf den dreihundert Metern zum Hotel nicht um. Er war sich nicht nur sicher, dass sie auf der belebten Promenade vor zig Zeugen nicht überfallen werden würden, er glaubte auch nicht, dass das Mädchen tatsächlich gesehen, was sie ihm erzählt hatte. Er überlegte. In der Tiefgarage war der Van in sechs oder sieben Metern Entfernung an ihm vorbeigefahren, als er in die Pistolenmündung blickte. Er musste den Fahrer wahrgenommen haben, wenigstens unbewusst. Und wenn es eine Frau gewesen war, dann würde er sich bestimmt an sie erinnern. Aber nichts. Doch das kann alles heißen, dachte er: dass es die Frau nicht gibt, dass ich mich einfach nicht erinnere, oder dass mein Hirn nach den Joints am Morgen noch nicht zum Normalbetrieb zurückgekehrt ist. Das verdammte Gras. In ein paar Minuten würde er seine ganze Geistesgegenwart brauchen, wenn er wieder mit Hauser telefonierte. Er würde sich nicht noch einmal überrumpeln lassen, nahm er sich vor, als sie die Hotellobby durchquerten, nein, er würde offensiv in das Gespräch gehen, Inhalte und Tempo selbst bestimmen und keine Fragen beantworten. Ja. Genau: offensiv. Kontrolle.
Im Fahrstuhl sprach er zum Spiegelbild des Mädchens. »Wir nehmen nichts mit außer Flugkarten, Pässen und Geld. Werfen Sie alles aus Ihrer Tasche, was Sie nicht dringend brauchen, damit das Geld reinpasst.« Er sah auf ihre Sandalen. »Und ziehen Sie geschlossene Schuhe an.«
»Ach. Werden wir zu Fuß flüchten?«
Ross sagte: »Nachher bezahlen Sie unsere Rechnung, und ich telefoniere.«
Sein Zimmer war aufgeräumt und gelüftet, sein Bett gemacht. Der Aschenbecher, in dem die Stummel der Joints gelegen hatten, war leer und sauber. Der Beutel mit dem Marihuana lag ordentlich auf dem Schreibtisch. Ross packte hastig und stellte seine Tasche verschlossen auf den Boden. So alt und schäbig sie auch war, er ließ sie ungern zurück. Sie war sein ältester Besitz und begleitete ihn, seit die Armee ihn vor mehr als zwanzig Jahren nach Panama geflogen hatte. Lange Zeit hatte alles, was ihm gehörte, in diese Tasche gepasst. Vielleicht konnte er später dafür sorgen, dass er sie wiederbekam. Dieses Hotel warf vergessenes Gepäck sicher nicht weg, und weder die Tasche selbst noch der Inhalt verlockten zum Diebstahl. Er warf das Marihuana und die Tabletten von der Tankstelle in die Toilette und drückte mehrmals die Spülung. Je ein Päckchen europäische Fünfziger und Hundertdollarscheine steckte er ein, den Rest des Geldes trug er in dem Kuvert, in dem er es erhalten hatte.
Auf dem Korridor wartete das Mädchen schon auf ihn.
Er sagte: »Das ging aber schnell.«
»Was ging aber schnell?«
»Haben Sie nicht gepackt?«
Sie hatte sich nur umgezogen. Im Fahrstuhl hielt sie ihre Tasche auf, und Ross schüttete das Geld aus seinem Umschlag zu dem, das sie schon bei sich trug. Als sie im Erdgeschoss ankamen, blickte er zu ihr auf und fragte: »Alles klar?«
Sie nickte.
Von einem öffentlichen Telefon aus, in einer ruhigen Ecke der Lobby, sah er eine Minute lang geistesabwesend zu, wie das Personal an der Rezeption um das Mädchen herumwuselte; dann wählte er.
»Vermittlung.« Es war dieselbe ruhige Frauenstimme wie bei seinem ersten Anruf.
»Hallo. Wir haben
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