Neongrüne Angst (German Edition)
Bremerhaven umzuziehen. Er wollte nicht nach Ganderkesee. Jetzt, nach dem Tod seiner Mutter, brauchte er seine Freunde in Bremerhaven mehr denn je. Er wollte auch die Schule nicht wechseln. Nie war ihm die Edith-Stein-Schule toller vorgekommen als jetzt, da er sie verlassen musste, um sein Abi am Gymnasium Ganderkesee zu machen.
Okay, Vaters Freundin Trudi wohnte hier, und sie hatte Platz. Am Anfang sah alles auch ganz gut aus, doch dann wurde Leon ständig daran erinnert, dass sein Vater und diese Frau schon eine Beziehung gehabt hatten, als seine Mutter noch lebte, und das gefiel Leon nicht.
In den ersten Wochen war es ihm furchtbar auf die Nerven gegangen, nachts unfreiwillig ihrem Liebesspiel zuhören zu müssen. In letzter Zeit lief zwischen den beiden aber im Bett nichts mehr, oder sie hatten einen Weg gefunden, das alles diskreter zu regeln. So kratzig, wie sich Trudi tagsüber benahm, glaubte Leon eher, dass ihre Liebe eingegangen war wie die Topfblumen auf der Fensterbank, die niemand hier goss.
Es wäre ihr am liebsten gewesen, die beiden rasch wieder loszuwerden, das spürte Leon genau, aber aus irgendeinem Grund warf sie Vater und Sohn nicht raus. Leon würde ohnehin die erste Chance nutzen, sich hier zu verabschieden, davon ging sie garantiert aus. Und sie tat alles, um diesen Entschluss in ihm zu unterstützen.
Die Schüler und Lehrer am Gymnasium Ganderkesee hatten es ihm leichtgemacht, seine Noten hatten sich hier sogar verbessert. Jeder wollte es dem Jungen, der gerade den schrecklichen Tod seiner Mutter verkraften musste, so leicht wie möglich machen. Manchmal waren ihm die Rücksichtnahme und Hilfsangebote ganz schön auf den Keks gegangen.
Am schlimmsten aber war es, von Johanna getrennt zu sein. Es waren fast neunzig Kilometer von Ganderkesee bis Bremerhaven, mit Bus und Bahn eine abenteuerliche Weltreise. Aber er hatte es geschafft, in Rekordzeit den Führerschein zu machen, und als sie versuchten, hier ein neues Leben zu beginnen, da war sein Vater am Anfang sogar großzügig gewesen, und aus dem Geld von dem Wohnungsverkauf ließ er fünftausend Euro für einen gebrauchten Fiat Grande Punto springen. Aber trotzdem war es schwierig.
Am liebsten hätten sie sich täglich gesehen, aber das war unmöglich. Je nach Verkehr brauchte er manchmal eineinviertel Stunde, aber es hatte auch schon mal zweieinhalb Stunden gedauert, bis er endlich bei ihr war. Und dann musste er nicht nur hin, sondern auch noch zurück.
Seit er mit Johanna ging, hatte er Probleme mit ihrem Bruder Ben, der früher mal sein bester Freund gewesen war, aber das war vorbei. Je besser Leon sich mit Johanna verstand, umso kälter wurde seine Beziehung zu Ben.
Nie hätte Johannas Mutter erlaubt, dass Leon über Nacht bei ihrer Tochter geblieben wäre. Ulla Fischer spielte sich plötzlich als Sittenwächterin auf.
Leon hatte – vermutlich um das Andenken an seine Krimi liebende Mutter aufrechtzuerhalten – all ihre Kriminalromane in Kisten verpackt und mitgenommen. Es waren ein paar hundert. Wenn Leon in den Büchern schmökerte, fühlte er sich seiner Mutter nah. Er hatte die letzten zwei, die seine Mutter bestellt hatte, sogar in der Buchhandlung abgeholt und an ihrer Stelle gelesen. Dann hatte er seine Gedanken zu den Büchern aufgeschrieben und anschließend beim »Delmenhorster Kreisblatt« vorbeigebracht.
Er hatte die Zeitung zufällig gelesen, sie lag im Eiscafé La Gondola herum, wo Leon auf seinen Erdbeerbecher wartete und wo er in Ruhe den Krimi seiner Mutter lesen wollte, ohne das ständige Gequassel im Fernsehen hören zu müssen. Etwas an dem Blatt hatte ihn angesprochen und ihm Mut gemacht, einfach hinzufahren und seine Buchbesprechungen dort anzubieten.
Sie hatten dem Chefredakteur Ralf Freitag auf Anhieb gefallen, und es sprang sogar direkt nach dem Abi eine Praktikumsstelle für Leon dabei heraus.
Seine Mutter, das wusste er, wäre stolz auf ihn gewesen. Sein Vater nahm das Ganze nicht einmal wirklich zur Kenntnis, und um Trudi zu beeindrucken, hätte er schon »Wetten dass« moderieren müssen oder wenigstens eine Quizshow.
Er schrieb jetzt Krimikritiken. Er war immer schneller als die großen Blätter wie »DIE WELT«, »DIE ZEIT« oder »FAZ«. Falls sie die Bücher, die er besprach, überhaupt zur Kenntnis nahmen, dann zwei, drei Wochen, nachdem er sie im »Delmenhorster Kreisblatt« vorgestellt hatte. Das machte ihm diebische Freude. Jedes Mal, wenn er wieder vor allen anderen einen Newcomer
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