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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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getroffen, aber einen Flug quer durch den Raum erklärte das nicht. Vermutlich hatte der Sturz über den Tresen Antonio ins Stolpern gebracht und ihn so in die Stuhlreihen befördert. Das war die einzige einigermaßen logische Erklärung, die Nando einfallen wollte.
    Mit angezogenen Schultern hastete er die Straße hinab und bemühte sich vergebens, das Klingeln zurückzudrängen, das die Kasse von sich gegeben hatte, als die Klappe aufgesprungen war. Wieder sah er Antonio vor sich, sein rätselhaftes und trauriges Lächeln, und fragte sich zum ungezählten Mal, ob sein merkwürdiger Gast etwas mit der Öffnung der Kasse zu tun gehabt hatte. Natürlich war das nicht möglich und vermutlich nur ein weiterer seltsamer Zufall dieses Abends, und doch ging Antonios Gesicht ihm nach, dieser suchende, undurchsichtige Blick aus den goldenen Rabenaugen. Die Stadt, aus der ich komme, heißt Bantoryn.
    Er erreichte die Via dei Volsci. Der Regen trommelte auf die unzähligen Mülltonnen am Straßenrand, zwischen die sich die Motorroller gequetscht hatten wie zwischen Parkplatzmarkierungen. Die Kälte war Nando in die Glieder gefahren, und seine Finger zitterten, als er den Schlüssel aus der Tasche zog. Dennoch hielt er inne. Er würde sich von einem Verrückten nicht seinen Geburtstag vermiesen lassen – das hatte Signor Bovino schon ausreichend versucht. Entschlossen drängte er die Gedanken an Antonio beiseite, ehe er die Tür zum Treppenhaus öffnete und ein Holzstück an den Rahmen lehnte, um sie für spätere Besucher offen zu halten.
    Sofort schlug ihm der Geruch von angebranntem Fett entgegen, und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, während er im Dunkeln die knarzende Holztreppe hinaufeilte. Die Glühbirne war bereits vor einigen Tagen durchgebrannt, und bislang hatte es niemand für nötig befunden, sie zu ersetzen. Nando war es recht so, denn er legte keinen gesteigerten Wert darauf, die mintfarbenen Wände und die armseligen Blumen auf den Fensterbänken genauer zu betrachten. Vor einer breiten Tür mit einem Rundfenster auf Augenhöhe blieb er stehen und wollte sie gerade aufsperren, als sie von innen mit Schwung geöffnet wurde.
    Vor ihm stand ein Mann mittleren Alters namens Giovanni Petrino, der zum einen Bäcker in der Panetteria des Erdgeschosses war, zum anderen jedoch seine Zeit hauptsächlich damit verbrachte, in Maras Küche herumzusitzen und mit ihr über Gott und die Welt zu streiten. Beide verband eine enge Freundschaft, auch wenn keiner von ihnen das jemals zugegeben hätte. Nando vermutete sogar, dass bei Giovanni ein wenig mehr dahintersteckte, wenn er bedachte, wie der Bäcker seine Tante in so manchem unbeobachteten Moment ansah. Allerdings waren beide hinsichtlich ihrer Gefühlswelten verkapselt wie Austern, weswegen Nando dieser Beziehung noch einige Jahre einräumte, um sich in ernsthaftere Gefilde zu entwickeln. Seit er denken konnte, saß Giovanni bei Mara in der Küche, und vermutlich würde das bis in alle Ewigkeit so bleiben. Die Welt mochte bisweilen aus den Angeln brechen – aber manche Dinge änderten sich nie.
    Giovanni trug eine weite, mit abstrakten Mustern versehene Hose, eine Bäckerschürze und ein enges, weißes T-Shirt, das kein Geheimnis daraus machte, dass sein Träger eine Leidenschaft für das leibliche Wohl pflegte, ohne diese mit ausreichend Bewegung zu kompensieren. Er hatte pechschwarzes Haar, das sich allerdings zu den Seiten seines Kopfes hin zurückgezogen hatte wie bei einem Mönch der Franziskaner und dort in wilden Büscheln abstand. Seine Wangen waren mit Bartstoppeln übersät, und nun, da er den Mund zu einem Grinsen verzog, zeigte sich eine monumentale Lücke zwischen den Schneidezähnen. Nando wusste, dass Giovanni wie kein Zweiter den Flohwalzer vortragen konnte und dafür nichts weiter brauchte als ein wenig Luft in der Lunge und diese beiden Zähne. Seine Augen strahlten wie eine von Licht durchströmte braune Achatscheibe, als er Nando in der Dunkelheit des Treppenhauses erkannte. Trotz seiner nicht überragenden Körpergröße – er reichte Mara, die für eine Frau allerdings ungewöhnlich groß war, gerade einmal bis zum Kinn – hatte Giovanni Hände wie die Pranken eines Bären, und als er Nando an sich zog, fühlte es sich für diesen tatsächlich so an, als würde er von einem Grizzly gedrückt.
    »Ich umarme dich!«, rief Giovanni überschwänglich, als würde Nando das nicht selbst merken. »Ein Hoch auf diesen wunderbaren Tag!«
    Er hielt

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