Nephilim
Nando ein Stück von sich weg, als wollte er überprüfen, ob dieser sich seit dem vorangegangenen Abend verändert hatte, und zwinkerte vertraulich. »Und darauf, dass ich zwei der angebrannten Lasagnen schon unauffällig entsorgen konnte.«
Nando lachte, doch ehe er etwas erwidern konnte, klang eine raue weibliche Stimme zur Tür: »Ich höre alles, Giovanni Petrino, das solltest du niemals vergessen!«
Giovanni verdrehte theatralisch die Augen, und Nando folgte ihm grinsend durch den kleinen Flur, der mit Büchern, Skulpturen und halb fertigen Gemälden bis zur Decke vollgestellt war, in die Küche. Der Raum war für gewöhnlich ausreichend groß, zumal dann, wenn man ihn nicht zum Kochen nutzte. Nun jedoch stand eine festlich gedeckte Tafel zwischen Kühlschrank und Geschirrregal, eine Tafel, die in Wahrheit ein Tapeziertisch mit einem darübergebreiteten, etwas zu kurz geratenen Bettlaken war. Auf den Küchenschränken standen Kerzen in Hülle und Fülle, auf dem Kühlschrank lagen einige verpackte Geschenke, und Luftschlangen ringelten sich von der Lampe an der Decke. Ein Kuchen mit reichlich Kerzen und leuchtend rotem Zuckerguss wurde von Keksen umlagert, und neben der Tafel stand Tante Mara mit vor Anstrengung geröteten Wangen, die Haare mit einem Kochlöffel am Hinterkopf zusammengedreht, und strahlte über das ganze Gesicht.
Sie fuhr sich über die Stirn, dass weiße Flocken an ihren Wimpern hängen blieben, und eilte auf Nando zu, um ihm mit mehligen Händen über beide Wangen zu streichen und ihm einen Kuss auf die Stirn zu drücken.
»Alles Gute zum Geburtstag, Lieblingsneffe meines Herzens«, sagte sie lächelnd. »Ich habe mich bemüht, jenseits von Übelkeit und Erbrechen zu kochen, aber es liegt wie in jedem Jahr an uns herauszufinden, ob es mir gelungen ist.«
Nando grinste, als er Giovanni unauffällig seufzen hörte. »Wenn du stundenlang in der Küche stehen kannst, um für mich zu kochen, dann kann ich auch das essen, was dabei herausgekommen ist.«
»Das wirst du nicht mehr sagen, wenn du auf die dritte Eierschale in dem Kuchen dort gebissen hast«, murmelte Giovanni, woraufhin Mara ihm einen wütenden Blick zuwarf.
»Nicht jeder kann ein Bäcker sein«, erwiderte sie und zog eine Augenbraue hoch. »Genauso wie nicht jeder ein Maler ist – oder taktvoll!«
Giovanni warf die Arme in die Luft, eine Geste, die er immer dann anwandte, wenn er das Lächeln unterdrücken wollte, das bereits auf seine Lippen rutschte. »Es fällt leichter, taktvoll zu sein, wenn man kein blutendes Zahnfleisch hat! Dieser Kuchen wird schmecken wie Kalkstein und knistern, als würde man Chips essen! Hättest du auf mich gehört, ich hätte dir helfen können, aber nein … «
Da stieß Mara die Luft aus und stemmte mit einer Gewittermiene die Fäuste in die Hüfte, dass Giovanni vor ihr zurückwich. »Ich habe zeit meines Lebens keinen Kerl gebraucht, der mir sagt, was ich tun soll«, zischte sie und ging einen Schritt auf ihn zu. »Dann werde ich wegen ein paar Eiern und Mehl jetzt nicht damit anfangen! E basta!«
Kurz schien Giovanni zu überlegen, ob er nachgeben sollte. Doch dann verschränkte er die Arme vor der Brust und warf einen so missbilligenden Blick auf Maras Kuchen, dass dieser eigentlich sofort davon hätte pulverisiert werden müssen.
»Nobel geht die Welt zugrunde«, erwiderte er. »Ich hätte dir einen Kuchen gebacken, den du noch nicht gesehen hast – einen Kuchen vor allem, den man auch essen kann!«
Damit führte er zwei Finger an den Mund und machte ein schmatzendes Geräusch, das Mara mit einer energischen Geste beiseitewischte.
»Auch dieser Kuchen wird gegessen«, erwiderte sie, und ihr Blick ließ keinen Zweifel daran, dass es ihr damit ernst war.
Leise fluchend setzte sich Giovanni auf einen der vier Stühle und bedeutete Nando, es ihm gleichzutun.
»Luca kommt etwas später«, sagte Mara und nahm einen dampfenden Topf vom Herd, dessen Inhalt einen merkwürdig sauren Geruch absonderte. »Sein Vorstellungsgespräch hat länger gedauert.«
Nando nickte und setzte sich auf seinen Platz. Luca war sein bester Freund. Sie kannten sich seit Grundschultagen und wohnten nur wenige Straßen voneinander entfernt. Es war Tradition, dass er auch bei dem alljährlichen Geburtstagsessen dabei war. Anschließend würden sie mit anderen Freunden losziehen und jenseits der Familie ein wenig feiern.
Während Mara sich am Herd zu schaffen machte, betrachtete Nando die glitzernden Fähnchen,
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