Neptuns Tochter 1
drehte sich einfach um und ging wieder ins Innere der Villa. »Wo bleiben Sie? Frau Illay wartet bereits«, sagte sie mit einem ungehaltenen Blick über die Schulter.
Mika folgte ihr. Schon nach zehn Schritten pfiff sie leise durch die Zähne. Das rief sofort wieder Missbilligung bei der Frau vor ihr hervor. Daher unterdrückte Mika den Drang, sich mit offenem Mund im Foyer – anders konnte man den Eingangsbereich nicht bezeichnen – umzuschauen. Das hier war extrem zur Schau getragener Reichtum. Glänzender Parkettboden – bestimmt antik, genauso wie die Einrichtung. Die Bilder an den Wänden waren vermutlich von berühmten Malern, soweit Mika das beurteilen konnte. Allerdings war das nicht ihr Metier, daher könnte sie sich auch irren und alles war bei IKEA gekauft worden. Mika musste sich auf die Lippen beißen, um nicht loszulachen. Dabei hätte sie beinahe die Frau vor sich aus den Augen verloren.
Flink wie ein Wiesel eilte die Richtung rechter Flügel auf eine Tür aus dunklem Holz zu, klopfte kurz an und betrat mit aufrechter Körperhaltung das dahinterliegende Zimmer. Mika durfte nach ihr den Raum betreten, und sofort erklärte sie ihn zum Kaminzimmer. Sie hätte ihn auch als den ›Roten Salon‹ bezeichnen können, aber Kaminzimmer fand sie passender.
»Frau David ist hier, vom Jobcenter«, wurde Mika vorgestellt, noch bevor sie die Umgebung richtig in Augenschein nehmen konnte.
»Oh gut«, sagte die ältere Dame, die in einem Ledersessel vor dem Kamin thronte. Sie blickte in eine undefinierbare Richtung und streckte die Hand aus. Sie hatte eine angenehme Stimme, aus der die Gelassenheit des Alters sprach. Mika mochte diese Stimme.
Sie ging zu der Dame und ergriff die Hand zur Begrüßung. »Guten Tag, Frau Illay«, sagte Mika und überlegte, ob auch noch ein Knicks von ihr erwartet wurde. Sie versuchte einen Hinweis von der Frau zu erhaschen, die sie hierhergeführt hatte.
Nichts. Sie war wie vom Erdboden verschluckt.
Wahrscheinlich hatte sie die Arme verschränkt und einmal kurz geblinzelt. Und schon war Jeannie in ihrer Flasche verschwunden.
»Setzen Sie sich, Frau David.« Frau Illay deutete auf den gegenüberstehenden Stuhl.
Erst jetzt fiel Mika auf, dass die alte Dame sie nicht direkt anschaute. Sie sah zwar in Mikas Richtung, ihr Blick war aber eher nach innen gerichtet. Mika blickte an sich hinunter. Da hatte sie sich solche Mühe für diesen ersten optischen Eindruck gegeben. Das hätte sie sich getrost sparen können, denn Frau Illay war blind. Mika hätte genauso gut nackt hier antanzen können, und es wäre nicht aufgefallen.
Okay, dem Flaschengeist wäre es aufgefallen. Bei dem Gedanken grinste Mika.
»Worüber amüsieren Sie sich?«, fragte Frau Illay in Mikas Spinnereien hinein.
»Ich . . . Nichts . . . Tut mir leid«, stotterte die. Das war ja großartig. Sogar blinde Menschen konnten in ihr lesen wie in einem offenen Buch. Bestand sie jetzt auch aus Brailleschrift? Das war albern, fiel Mika ein, denn zu diesem Zweck müsste sie abgetastet werden.
Frau Illay lächelte leicht. »Die meisten Menschen denken, dass man nichts mitbekommt. Nur weil man nichts sieht. Dabei ist eher das Gegenteil der Fall.« Sie setzte sich hoheitsvoll hin. »Ich muss mich entschuldigen, Frau David. Meine Enkelin hat darauf bestanden, bei dem Gespräch anwesend zu sein. Sie verspätet sich aber leider etwas.« Sie griff nach einer kleinen Glocke. »Tun Sie mir den Gefallen und trinken Sie mit mir eine Tasse Kaffee, bis sie kommt.«
Wie von Geisterhand war der Beistelltisch gedeckt.
»Nun gut, Frau David«, begann Frau Illay das Gespräch. »Wir wohnen ja etwas abseits der Hauptstraßen. Ich hoffe, Sie haben trotzdem gut hierhergefunden.«
»Ja, doch«, erwiderte Mika. Man muss nur dem Geruch des Geldes folgen , dachte sie.
So ein seltsames Vorstellungsgespräch hatte Mika noch nie gehabt. Sie sah sich neugierig um. Ihre Gesprächspartnerin konnte das ja nicht sehen.
»Mir ist dieser Raum hier der liebste«, erklärte Frau Illay, als hätte sie Mikas Blicke doch bemerkt. »Wenn Sie wollen, können Sie sich gern genauer umschauen, Frau David«, sagte sie.
Mika blieb sitzen. Sie versuchte aus dieser alten Dame schlau zu werden. Aber im Gegensatz zu Mika hatte die ihre Mimik und Gestik im Griff. Sie gab nichts preis. Und schien gleichzeitig Mika zu durchleuchten.
»Wissen Sie, Frau David«, fuhr Frau Illay fort, »das hier mag Ihnen vielleicht dekadent erscheinen, aber diese Villa
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