Neptuns Tochter 2
Zeitpunkt war gekommen, auf den Timea seit zwölf Jahren gewartet hatte. Getilgt, stand quer über dem Schuldschein. Sie betrachtete ihn von allen Seiten, hielt ihn unter die Schreibtischlampe, um auf Nummer sicher zu gehen. Zum zehnten Mal.
»Was willst du mit dem Blatt Papier denn noch anfangen?«, fragte Timeas Großmutter ungläubig. Sie saß auf dem Sofa in Timeas Büro und schien das Tun ihrer Enkelin zu erahnen. »Warum verbrennst du es nicht, zerreißt es oder wirfst es in den Main?«
»Keine Ahnung, Nagyi. Vielleicht behalte ich alles als eine Art Mahnmal dafür, was passieren kann, wenn man sich nicht beherrschen kann.«
»Wieso solltest du das brauchen?«
Stirnrunzelnd heftete Timea den Schuldschein in Großvaters Ordner.
»Timea?«
»Ich weiß nicht«, beeilte sich Timea mit der Antwort. »Vermutlich, weil ich mich in letzter Zeit auch ab und zu nicht im Griff gehabt habe.«
»Jetzt noch einmal Liebes. Du bist nicht wie dein Großvater. Für ihn ist das Leben nichts anderes als ein Spiel gewesen. Mit Menschen als Schachfiguren, die er einfach so hin und her geschoben hat. Wenn mal ein Zug danebengegangen ist – dann hat es eben ein Bauernopfer gegeben. Dein Vater kann davon ein Lied singen.«
Die alte Dame schien in Gedanken weit weg. »Für Tibors Pläne ist nie Geld dagewesen.« Sie hielt kurz inne. »Nun, wir alle wissen, dass dein Großvater nichts auf die Meinung der Familie gegeben hat. Wir sind höchstens die Feuerwehr gewesen. Für den Fall der Fälle. Und dann seine Frauengeschichten . . .« Die Stimme der Großmutter war nur noch ein heiseres Flüstern. Da nahm sie wieder Haltung an und hustete gleichzeitig die Heiserkeit fort. »Aber Timea, wie oft soll ich dir das noch sagen? Im Gegensatz zu deinem Großvater bist du immer rücksichtsvoll, in allem, was du tust.«
»Du vergisst dabei aber meine Frauengeschichten«, gab Timea, nicht ganz ernst gemeint, zu bedenken.
Anstatt damit ihre Großmutter aufzuheitern, polterte die unvermittelt los: »Timea Illay! Wage es nie wieder, Mika mit einer dieser Frauen zu vergleichen, mit denen dein Großvater sich vergnügt hat. Mikaela David ist eine derart liebenswerte Frau, und du . . .«
»Beruhige dich, Nagyi«, stoppte Timea erschrocken den Ausbruch, »ich habe bestimmt nicht Mika gemeint. Ich weiß doch, dass . . . ich habe sie nicht gemeint.«
»Dann ist es ja gut«, sagte die Gräfin wieder entspannt.
Mit dem Ergebnis, dass Timea am liebsten mit dem Kopf ein paar Mal auf die Schreibtischplatte geklopft hätte. Da sollte jemand schlau werden aus dieser alten Frau.
War das beginnender Altersstarrsinn?
Oder bei Timea selbst beginnende Charakterschwäche?
Womöglich ein bisschen von beiden, und das war eine gefährliche Kombination.
»Wenn du schon wieder mit du weißt schon was anfangen willst . . . vergiss es, Großmutter.«
»Nun Timea. Ich habe doch eben gesagt, dass du nicht wie dein Großvater bist. Du bist eher wie ich. Und daher dürfte dir klar sein, dass ich meine Ziele konsequent verfolge.«
Die Gräfin zeigte keinerlei Regung. War es Spaß? Ernst? Eine Drohung? In jedem Fall aber Altersstarrsinn.
»Wie ist es mit dem Erfüllen von Bitten?«, fragte Timea. Und hier war sie – die Charakterschwäche.
»Kommt auf den Sinn der Bitte an«, meinte die Gräfin.
Timea gab auf. Erstens hatte sie keine Lust auf weitere Debatten. Nicht heute. Und zweitens war gegen ihre Großmutter sowieso kein Kraut gewachsen. »Über Sinn und Unsinn entscheidest selbstverständlich du. Stimmt’s?«, konstatierte Timea daher.
»Du bist eben noch zu jung dafür.«
Timea erhob sich von ihrem Platz und stellte sich vor ihre Großmutter. »Da du es nicht sehen kannst . . . Ich habe gerade die Hände in die Hüften gestemmt und schaue ziemlich böse auf dich hinunter«, erklärte sie.
»Das gibt Falten, Kind.«
Timea wollte darauf etwas Passendes erwidern, das leise Klopfen und vorsichtige Öffnen der Tür hinderte sie daran.
»Ach gut, Petra«, sagte Adrienn Illay. »Sie müssen uns helfen.«
Timea und Petra Lorentz schauten sich fragend an.
»Wie würden Sie das Verhältnis meiner Enkelin zu Mika zusammenfassen?«, kam es vom Sofa.
Sollte Petra nicht wenigstens drei Sekunden mit der Antwort warten? Nein. Das hatte sie anscheinend nicht nötig. »Liebe«, gab sie innerhalb einer Millisekunde zurück.
Das war nicht echt, fand Timea ebenso schnell für sich heraus. Die Antwort hatte Petra bestimmt bis zum Exzess geübt. Das
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