Neptuns Tochter 2
nicht rücksichtslos.« Sie kaute auf der Unterlippe. »Irgendwie werde ich nicht schlau aus dem Ganzen.«
»Und du bist sicher, dass er derjenige welche ist?«, vergewisserte sich die Gräfin erneut.
»Was ist heutzutage sicher?«, entgegnete Timea vom Züngeln der Flammen gefangen.
Es kehrte so etwas wie Entspannung in ihr ein. Da riss die Großmutter sie ohne Vorwarnung aus der Versunkenheit. »Mika hat sich immer noch nicht gemeldet?«, fragte sie.
Timea erstarrte. Es kam ihr vor, als würde das wärmende Feuer mit einem Schlag zu einem beißenden Flammenmeer. Die Hitze trocknete ihre Kehle aus. »Hör endlich auf, mich nach ihr zu fragen, Großmutter«, mahnte Timea.
»Es hätte ja sein können.«
Mit einem Stirnrunzeln löste sich Timea vom Anblick des Feuers. »Wenn es soweit ist, wirst du die Erste sein, die davon erfährt.«
»Gut.«
Der unterkühlte Tonfall führte dazu, dass Timea sich vollends ihrer Großmutter zuwandte.
Die griff nach der Fernbedienung für den CD-Player. »Hast du heute im Büro alles erledigen können?«, fragte die Gräfin im Vorbeugen.
»Bist du jetzt beleidigt, Nagyi?«
»Nein, keine Sorge.« Timeas Großmutter strich sich über die Haare. »Ich habe verstanden, dass du die Vogelstraußtaktik anwenden willst, wenn es um Mikaela David geht.«
»Und du bist doch beleidigt«, schloss Timea. Zu schrill, wie sie selbst erkannte. Es war einfach zu laut in diesem Raum. Die leise Musik aus den Boxen. Das Krachen der Holzscheite, die im Kamin niederbrannten. Ein Geräusch, das so klang, als würde jemand hämisch »Feigling« zischen. Timea schüttelte sich.
Ihre Großmutter saß derweil nahezu bewegungslos in ihrem Stuhl. Lauschte der Musik, dem Feuer oder Timeas Kampf mit sich selbst. Letzteres. Dessen war sich Timea sicher. Etwas vor der Gräfin zu verbergen, war aussichtslos. Meist war die aber zum Glück sensibel genug, um zu wissen, wann sie ihre Enkeltochter in Ruhe lassen sollte. Timea hoffte, dass jetzt einer dieser Momente war.
»Vielleicht sollten wir es für heute dabei belassen, Liebes.«
Timea atmete auf. Es war einer jener Momente. »Um deine Frage zu beantworten: Ja, ich habe alles erledigen können«, sagte sie.
»Schön. Das heißt, dass du morgen wieder außer Haus sein wirst?«
»Genau. Ich habe am Nachmittag ein paar Kundentermine.«
»Und was ist mit dem Vormittag«, fragte Timeas Großmutter sofort nach. »Ist da etwas Besonderes?«
»Wieso glaubst du, dass etwas ist?«, wich Timea aus.
»Beantworte einfach die Frage, Timea«, befahl die Gräfin.
Timea räusperte sich. »Am Vormittag muss ich zu dem Kreditinstitut und Großvaters Schuldschein auslösen.«
Timeas Großmutter sog scharf die Luft ein. »Ist dann das leidige Thema endlich vom Tisch?«, fragte sie.
»Ja, Nagyi. Ich kann dann einen Kredit mit Zinsen in normaler Höhe abbezahlen. Und nicht mehr diese Wucherzinsen.«
»Dann müssen wir Herrn Grossmann wohl dankbar sein«, schlussfolgerte die alte Dame.
»Das müssen wir wohl«, stimmte Timea zu. Dennoch war da noch ein Funken Zweifel. Timea konnte nicht sagen, woran das lag, aber irgendwie fügten sich die Puzzleteile nicht zu hundert Prozent zusammen. Eine Tatsache, die sie ärgerte.
Obwohl sie der Vernichtung von Großvaters Ordner einen Riesenschritt näher kam, brauchte sie Sicherheit. Wer wusste schon, ob sie am Ende nicht wieder in irgendjemandes Schuld stand. Etwas, was sie unbedingt verhindern musste. Viel zu oft in ihrem Leben war Timea gezwungen gewesen, zu reagieren. Dabei war sie eine Frau, die agierte, die ihr Leben selbst bestimmen wollte.
Zumindest war sie das früher gewesen. Bevor sie sich entschieden hatte, das zu tun, wofür eigentlich ihr Vater zuständig gewesen wäre: Die Schuld des Großvaters tilgen. Den Namen Illay reinwaschen. Aber Tibor Illay hatte es vorgezogen, mit seiner Frau nach Amerika zu gehen.
Timea sah ihn, hier in diesem Raum, wie er ihr Idealismus und falsch verstandene Loyalität vorgeworfen hatte . . .
»Ich werde bestimmt nicht meine Existenz aufs Spiel setzen für etwas, was sowieso nicht mehr zu retten ist«, sagte Timeas Vater. »Wenn du das willst . . . ich werde dich nicht davon abhalten.«
Timea war entsetzt. Wie konnte ihr Vater so kalt sein? So selbstsüchtig? »Aber wir müssen doch etwas tun, Paps.«
Tibor Illay sah seine Tochter aus traurigen Augen an. »Das sehe ich anders.« Dann schaute er ins Kaminfeuer. »Hast du eine Ahnung wie das ist, mit einem Vater aufzuwachsen,
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