Neptuns Tochter 2
für den das Leben ein Spiel ist?«
Timea zog es vor, ihren Vater in seinen Erinnerungen nicht zu stören. Sie wartete ab.
»Dein Großvater hat sich immer darauf verlassen, dass irgendjemand das Chaos wieder zurechtrückt, das er veranstaltet hat«, sagte Tibor Illay ins Feuer. »Ein Vermögen beim Wetten verloren . . . was soll’s? Die Bank hat genug, und der gute Freund von nebenan wird schon dafür bürgen. Trunkenheit am Steuer, Unfall, Fahrerflucht . . . irgendeine Werkstatt wird sich schon finden, die den Schaden am Oldtimer unbürokratisch repariert. Ein Verhältnis mit der Frau eines anderen . . . mein Gott. Das kommt in den besten Familien vor. Und die eigene Gemahlin wird schon vermitteln. Und so weiter, und so weiter.« Er räusperte sich und wandte sich seiner Tochter zu. »Er hat nie Verantwortung übernommen, sich immer von anderen aus dem Sumpf ziehen lassen, bis zum Schluss. Und jetzt ist er tot, und was ist? Wieder sollen andere den Karren für ihn aus dem Dreck ziehen. Aber nicht mit mir.«
Mit Riesenschritten ging Tibor Illay zum Schreibtisch und holte einen Aktenordner aus einer der Schubladen.
»Hier, Timea, hier sind all die Momente festgehalten, in denen mein werter Vater Mist gebaut hat und sich von irgendwem hat helfen lassen. Der beste Freund, die Bank, Kfz-Werkstatt spezialisiert auf Oldtimer, Kreditinstitut mit horrenden Zinsen, die in allen Belangen blinde Ehefrau, der naive Sohn . . . sie sind alle enthalten. Und als Nächstes kommt dann wohl die idealistische Enkeltochter dazu.«
Entsetzt hörte Timea zu. So aufgebracht hatte sie ihren Vater noch nie erlebt. So tief hatte sie nie zuvor in das Leben der Familie Illay Einblick bekommen. Und dennoch. »Das kann ich alles verstehen, Paps. Aber es geht hier um Großmutter. Ich kann sie nicht im Stich lassen. Das hat nichts mit Idealismus zu tun«, erwiderte sie. »Ich werde das schon irgendwie schaffen.«
»Dann wünsch ich dir viel Glück dabei«, murmelte ihr Vater. »Das wirst du auch brauchen. Denn dir wird niemand helfen, Timea. Im Gegenteil. Wenn ich an die vielen Mahnbriefe denke . . .«
»Das ist mir auch recht, Paps. Dann bin ich niemandem zu Dank verpflichtet, muss nirgendwo zu Kreuze kriechen.« Timea dachte an die Menschen, die wie die Ratten das sinkende Schiff verließen, nachdem das ganze Ausmaß der Schulden bekannt geworden war.
Sie dachte an Karina, die sich urplötzlich zurückgezogen hatte, weil bei Timea nichts mehr zu holen gewesen war. Im Stillen schwor Timea, dass sie sich nie wieder verlieben würde. Wenn sie sich auf eine Frau einlassen würde, dann nur, um körperliche Bedürfnisse zu befriedigen.
Darüber hinaus hatte Timea noch eine Entscheidung gefällt. »Entweder ich bekomme den Schuldenberg aus eigener Kraft in den Griff, oder ich verkaufe alles, auch das Haus hier, und ziehe in irgendeine billige Wohnung.«
Timea schaute zu ihrer Großmutter. Wie sie da saß, in ihrem Stuhl. Aufrecht. Den Kopf gerade. So bewegte sie sich. So lebte sie. Egal, was ihr widerfahren war, welchen Kummer ihr ihr Mann oder ihr Sohn bereitet hatten.
»Weißt du, dass ich sehr stolz auf dich bin, Liebes?«, verkündete die Großmutter in Timeas Gedanken hinein.
»Ich weiß, Nagyi.«
»Nur die Sache mit Mika«, sagte die alte Dame, lächelnd und gleichzeitig missbilligend den Kopf schüttelnd, »da solltest du langsam zu deinen Gefühlen stehen. Wie es sich für meine Enkeltochter gehört.« Timeas Großmutter war nicht nur stolz, sondern auch – das hatte Timea völlig vergessen – stur.
»Bei Mika stehe ich immer zu meinen Gefühlen, Großmutter«, gab Timea zuckersüß zurück.
»Ich weiß schon, Kind. Das Bett und so.« Die alte Dame stand auf und ging zur Tür. »Das sind auch sehr . . . nette Gefühle. Die meine ich aber nicht. Das weißt du auch, sonst würdest du nicht auf deinen Lippen kauen. Auch wenn ich es nicht sehen kann, halte ich es dennoch für wenig damenhaft.«
»Wenn das deine größte Sorge ist«, sagte Timea, »dann besteht ja noch Hoffnung.« Sie folgte ihrer Großmutter und trat durch die offene Tür.
»Timea, Liebes, wann wirst du es endlich begreifen? Es gibt immer Hoffnung. Auch für so schwierige Fälle wie dich.«
»Kommt dann demnächst ein Benimmtrainer zu uns, der aus mir eine Dame macht?«, fragte Timea mit einer Kleinmädchenstimme.
»Ich wünsche dir einen schönen Abend, Timea«, erwiderte die Gräfin. Damit war die Enkelin entlassen.
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