Nerd Attack
psychotherapeutischen Behandlung schrieb, als »Computerstammtisch, als Ableger vom Chaos Computer Club in Hamburg«. Auf Fotos aus dieser Zeit sieht er nicht wie ein Nerd und schon gar nicht wie ein schizophrener Vaterlandsverräter aus. Mit Anfang 20 war er ein hübscher junger Mann mit schmalem Gesicht, buschigem blondem Haar und einem verhaltenen Lächeln. Doch auch zu dieser Zeit rumorten in seinem Kopf schon eigenartige Gedanken, von den »Illuminatus!«-Romanen Robert Anton Wilsons inspirierte Verschwörungstheorien über heimliche Weltherrscher und verborgene Zusammenhänge. In den Datennetzen aber fühlte Koch sich frei, unbeobachtet, wie die Cyberpunks aus den Romanen von Gibson und Brunner.
Für die junge deutsche Hacker-Szene waren die Taten von Koch, »Urmel«, »Pengo« und anderen eine Katastrophe: Der Chaos Computer Club, der sich als informelle, explizit nichtkriminelle Interessensvertretung der deutschen Hacker etabliert hatte, zerbrach fast daran. Das ohnehin mindestens verdächtige Image derer, die sich in Deutschland für den Umgang mit Computern und Datennetzen interessierten, litt weiter.
Für Koch und die anderen, die sich als eine Art technologisch-gesellschaftliche Avantgarde betrachteten, war das Ganze dagegen kaum mehr als ein verrücktes Spiel: Sie taten das, was sie gerne machten, nämlich nächtelang kiffend vor dem Rechner sitzen und in den Weiten der frühen Datennetze auf Fischzug gehen, und sie wurden dafür auch noch bezahlt. Vor sich selbst begründete Koch den Verkauf von Daten an den KGB sogar mit einer Art verdrehter Version der internationalen Hacker-Ethik: Halfen sie mit ihren Raubzügen und damit, dass sie Information in den Ostblock weitergaben – trotz aller Embargos und des Katalogs verbotener Exportgüter – nicht auch beim Kampf für die weltumspannende Herrschaft freien Wissens für alle?
Die Strafverfolger und Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland fanden das Ganze weder lässlich noch lustig. Als die Sache 1989 schließlich öffentlich wurde und die Beteiligten vor Gericht landeten, erklärte Gerhard Boeden, damals Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, man habe es hier »ganz sicherlich mit einer neuen Qualität gegnerischer Ausspähung unserer Datennetze zu tun«. Die ARD bezeichnete die Aktivitäten von Koch und Co. in einem »Brennpunkt« als »größten Spionagefall seit der Affäre Guillaume«. Das wirkt aus heutiger Sicht etwas übertrieben, schließlich war der Sowjet-Spion Guillaume einer der engsten Berater von Bundeskanzler Willy Brandt gewesen, die Hacker-Truppe um Koch aber tat nicht mehr, als ihr Wissen um Funktionsweise und Sicherheitssysteme westlicher Computersysteme für Geld und Drogen zu verkaufen. Zum Teil boten sie ihren nicht einmal allzu großzügigen Finanziers in Ostberlin Software an, die im Westen frei verkäuflich war. Im Prozess gegen drei Mitglieder der Gruppe im Januar 1990 sagte Markus »Urmel« Hess aus, man habe dem Führungsoffizier »Sergej« einmal für 4000 D-Mark Software verkauft, die im Laden 200 Mark kostete. Insgesamt verdienten Koch, Hess und die anderen lächerliche 90 000 D-Mark mit ihren Geschäften mit den Sowjets. Doch die öffentliche Wahrnehmung des KGB-Hacks und der Täter prägte das deutsche Bild von Hackern als selbstsüchtig, skrupel- und prinzipienlos auf Jahre hinaus.
Die Helden des Untergrunds galten nun endgültig als zwielichtige Gesellen, die nicht davor zurückschreckten, mit dem Feind zu kooperieren. Im besten Falle waren sie »Computerfreaks«, auch das ein oft nicht freundlich gemeinter Begriff, sondern einer, der nach Sucht und Kontrollverlust klang, nach Deformation, nicht nach Wissensdurst und Cleverness. Die berühmte Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen beschrieb Kochs Mentor »DOB« in einem Artikel über den Prozess gegen die Truppe im SPIEGEL so: »Nur noch vor dem Terminal oder in der Kneipe hielt er sich schließlich auf, umringt von weit jüngeren Computerfreaks. Zur Tatzeit galt er, obwohl er sich längst zurückgezogen hatte von allen Kontakten, als Integrationsfigur in einem Kreis, den allein die Faszination der Maschine und das auf Formeln reduzierte Denken zusammenhielt. «
Der KGB-Hack zementierte in Deutschland eine Einstellung, die sich schon im Laufe der Achtziger verfestigt hatte: Misstrauen, teils kaum verhohlene Ablehnung gegenüber Menschen, die selbstverständlich und freiwillig mit Computern umgehen. Man muss die Reaktionen auf die Taten der Gruppe
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