Nerd Attack
konfrontierte. »Wau hat immer geredet wie die Bibel«, sagt Pritlove.
Egal, mit welchem seiner damaligen Weggefährten man sich unterhält – wenn sie über Holland sprechen, klingt das immer liebevoll. Es scheint schwer gewesen zu sein, diesen chaotischen, aber klugen Mann nicht zu mögen. In einer Tasche seiner Latzhose trug der Hacker-Prediger stets einen Schraubenzieher mit sich herum, und wenn ihn jemand darauf ansprach, grinste er schelmisch und erklärte, den müsse er dabeihaben, »falls ich mal telefonieren muss«.
Jahrelang war er in der Sponti-Szene aktiv gewesen, hatte sich am Aufbau eines linken Buchladens beteiligt und nebenbei Elektrotechnik, Mathematik und Informatik studiert, ohne jedoch irgendeinen Abschluss zu machen. Zeitlebens gelang es ihm kaum, größere Projekte organisiert zu Ende zu bringen. Seine Wohnungen – und zeitweise auch die ersten Räume des Clubs in der Hamburger Schwenckestraße – waren Orte des Chaos. Überall stapelten sich Zeitungen und Zeitschriften, jede Ecke war mit ausrangierten Tastaturen, Monitoren, Rechnergehäusen vollgestopft. »Ich würde nicht sagen, dass er ein Messi war«, sagt Tim Pritlove, »aber er hat schon viele Dinge gesammelt.«
Holland thronte inmitten des Durcheinanders, meist mit einer Dose Weizenbier in der Hand. In seiner Wohnung gleich neben dem Club »stand seine Pfeife«, notiert sein Biograf Daniel Kulla. Das Hacken, das Denken, das Diskutieren und das Kiffen waren in jenen frühen Tagen des digitalen Untergrunds untrennbar miteinander verbunden. Holland, sagt Pritlove, »hat praktisch auf der Metaebene gelebt«. Selbst nach tiefen Zügen aus der Pfeife und diversen Dosen Weizenbier sei er der Mittelpunkt jeder Gesprächsrunde geblieben: »Er konnte auch in nicht zurechnungsfähigem Zustand interessante Sachen sagen.« Das Organisieren besorgten andere. Holland sollte dennoch jahrelang die Integrations- und Symbolfigur der kleinen deutschen Bewegung bleiben.
Hippies mit Heimcomputern
Im Amerika der Reagan-Ära waren Steven Levys Hacker-Gebote zunächst vor allem kühne Thesen, die nach Aufbruch und Gegenkultur klangen. Und genauso nahmen sich viele der Hacker der siebziger und achtziger Jahre dort auch wahr: Immerhin liegt das Silicon Valley in unmittelbarer Nachbarschaft zu San Francisco, der Welthauptstadt der Blumenkinder. Schon in den sechziger Jahren, bei den »Trip Festivals«, die der Journalist, Fotograf, Verleger und Event-Impresario Stewart Brand und andere in Kalifornien organisierten, hatten die Hippies begonnen, Technologie für ihre Zwecke einzusetzen. Sie benutzten Musik- und Lichtanlagen, elektronische Installationen und Spielzeuge in Kombination mit LSD und anderen bewusstseinsverändernden Drogen, um Gefühle von Transzendenz und Einheit zu erzeugen. Die Einladung zum ersten von vielen »Trip Festivals« in der Longshoreman’s Hall in San Francisco enthielt die Aufforderung, »sich ekstatisch zu kleiden und eigene Elektronikspielzeuge [gadgets] mitzubringen«. Steckdosen, stand auf dem Flyer, würden zur Verfügung gestellt. Auch viele Konzerte der sechziger und siebziger Jahre, allen voran die von The Grateful Dead, gerieten zu multimedialen, techno-transzendentalen Happenings, in denen elektronische Instrumente, Lichtinstallationen und technische Spielereien zentrale Rollen spielten.
Während viele Linksalternative in Deutschland bis in die neunziger Jahre hinein nahezu jeder Form von Technik gegenüber äußerst feindselig eingestellt waren, hatte die US-amerikanische Protestbewegung das Potenzial technischer Mittel schon früh erkannt, wie der Stanford-Professor Fred Turner in seinem sehr lesenswerten Buch »From Counterculture to Cyberculture« anhand einer Fülle von Quellen nachweist. Stewart Brand selbst trug mit seinem »Whole Earth Catalog«, einer Produktsammlung für Aussteiger, Landkommunarden und andere auf der Suche nach alternativen Lebensmodellen, sowie mit der Zeitschrift »CoEvolution Quarterly« entscheidend zu dieser Entwicklung bei: Der Katalog enthielt frühe Computer, Rechenmaschinen und Bücher über Kybernetik, aber auch Empfehlungen für Hirschledertuniken und Geräte zur Bodenbearbeitung. Digitale Technologie, glaubte Brand, müsse den Konzernen und Militärs entrissen werden, um dem Menschen bei seiner Selbstbefreiung zu helfen – ganz im Sinne von Levys Hacker-Ethik.
Die Mitglieder des Homebrew Computer Club, gegründet im Silicon Valley im Jahr 1975, trugen vielfach wilde Haartracht
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