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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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um Koch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges sehen: Obwohl im Frühjahr 1989 der Mauerfall bereits unmittelbar bevorstand und Michail Gorbatschow in Moskau mit Perestroika und Glasnost das Ende des kommunistischen Blocks eingeleitet hatte – noch herrschte das Gleichgewicht des Schreckens, noch schien die Möglichkeit eines globalen nuklearen Holocaustes furchteinflößend real. Tschernobyl hatte schließlich gezeigt, welche Verheerungen schon ein Zwischenfall in einem Kraftwerk haben konnte.
    Fast zur gleichen Zeit wurden auch in den USA zum ersten Mal Hacker zum Ziel von hektischer Aktivität durch Geheimdienste und Polizei. Der im vorangegangenen Kapitel erwähnte Cyberpunk-Autor Bruce Sterling hat über diese Zeit ein Sachbuch namens »Hacker Crackdown« geschrieben. Im Jahr 1990, so Sterling, »taten sich der US Secret Service, private Sicherheitsdienste der Telefongesellschaften, regionale und lokale Strafverfolger überall im Land zusammen in einem entschlossenen Versuch, Amerikas elektronischem Untergrund das Rückgrat zu brechen«.
    Die Reaktion in den USA war jedoch eine völlig andere als in Deutschland. Während hierzulande der Chaos Computer Club als einzige wirkungsvolle Vertretung der Hacker und bedeutendster Fürsprecher der digitalen Bürgerrechte und des Datenschutzes fast zugrunde ging, erstarkte in den USA eine Bewegung, die bis heute massiv und sehr erfolgreich in die Debatte über digital vermittelte Veränderungen der Gesellschaft eingreift. 1990 gründete dort ein ehemaliger Farmer, LSD-Konsument, Songtexter und Althippie gemeinsam mit einem IT-Unternehmer und Multimillionär die »Electronic Frontier Foundation«, die bis heute einflussreichste Bürgerrechtsorganisation der digitalen Welt. Die Wurzeln dieser seltsamen Allianz und die Gründe, warum ein vergleichbares Bündnis in Deutschland undenkbar gewesen wäre, machen verständlich, warum die digitale Spaltung Deutschland heute so fest im Griff hat. Schon Jahre vorher hatte sich das Verhältnis der Gesellschaft zu Computern dies- und jenseits des Atlantiks deutlich auseinanderentwickelt – allen völkerverbindenden Aktivitäten der Cracker- und Kopierer-Szene zum Trotz. Als Karl Koch und seine Kumpel den CCC in Deutschland dann vorläufig diskreditiert hatten, war zunächst jede Chance vertan, an dieser Entwicklung etwas zu ändern.

Levy und Holland: ethisch hacken
     
    Im Jahr 1984 verbrachte ich viel Zeit im Kabuff neben dem Kleiderschrank mit »Jumpman«, »Blue Max« oder »Bruce Lee« – und, gemeinsam mit Jan, der Entwicklung unseres ersten eigenen Computerspiels, eines Text-Adventures namens »Klon dich um«, in dem es um den Kampf eines Volkes namens »Schlonzewonze« gegen das der »Wurschtler« gehen sollte, das dann aber doch nie so richtig fertig wurde. Die Firma Commodore erlebte mit dem C64 eines der besten Geschäftsjahre ihrer Geschichte und servierte trotzdem umstandslos ihren cholerischen Gründer und Kopf Jack Tramiel ab. Teut Weidemann und seine Münchner Cracker-Kumpel verkauften ein erstes selbst programmiertes Spiel an eine deutsche Software-Firma, für 2500 D-Mark. In den USA kam der Apple Macintosh auf den Markt, der erste Heimcomputer mit grafischer Benutzeroberfläche, und IBMs erster PC mit serienmäßiger Festplatte (20 Megabyte!) und 286er-Prozessor. Die Gründer des Chaos Computer Clubs knackten den nagelneuen Online-Dienst der Post, BTX. Und in New York veröffentlichte der Journalist Steven Levy ein Buch mit dem Titel »Hackers: Heroes of the Computer Revolution« (Hacker – die Helden der Computerrevolution).
    Levys Buch gilt als Meilenstein. Es gelang ihm, darin ein positives, höchst faszinierendes Bild von Hackern und ihren Aktivitäten zu zeichnen, das in den USA bis heute fortbesteht. Er skizzierte eine Entwicklungslinie von den ersten Hobby-Programmierern am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den späten Fünfzigern über die »Hobbyisten« der Siebziger, über Bill Gates, Steve Jobs und Steve Wozniak bis hin zu Richard Stallmann, dem geistigen Vater der »Free Software«-Bewegung. Levy formulierte sechs Regeln einer »Hacker-Ethik«, die er aus den vielen Recherchegesprächen für sein Buch destilliert hatte. Bis heute gelten diese Hacker-Regeln vielen als idealtypisches ideologisch-moralisches Grundgerüst, wo es um den Umgang mit Technik geht. Wenn es so etwas wie eine Ideologie der »Netzgemeinde« wirklich gibt, dann basiert sie auf Levys Regelwerk. Er hatte etwas erreicht,

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