Nerd Attack
Rechnersysteme überall in der westlichen Welt eingedrungen waren, um dort Erbeutetes mit der Hilfe des Casinocroupiers und Hobby-Dealers »Pedro« an den sowjetischen Geheimdienst zu verkaufen. Ihre Taten gingen als »KGB-Hack« in die Geschichte ein und sorgten auch in den USA dafür, dass man die anarchischen Datenreisenden nun mit wachsendem Argwohn betrachtete.
War Games
Ich selbst habe zwar eine sehr klare Erinnerung an den Mauerfall, aber keine an das Auffliegen des KGB-Hacks und seine Folgen. Obwohl mich das Thema durchaus interessiert hätte: Wie fast alle meine Altersgenossen hatte ich selbstverständlich »War Games« gesehen, und zwar mehrmals – den Film, in dem Matthew Broderick als jugendlicher Hacker versehentlich in einen Rechner der US-Luftverteidigungszentrale Norad eindringt und dort, weil er das Ganze für ein Computerspiel hält, beinahe den dritten Weltkrieg auslöst. Der entscheidende Trick, den er dabei anwendet, ist ein Gang in die Bibliothek: Er findet anhand alter Zeitungsausschnitte heraus, dass der Programmierer des Computersystems, in das er einzudringen versucht, vor Jahren seinen Sohn verloren hat. Dessen Name erweist sich als das Passwort, das die Hintertür in den Militärcomputer öffnet: Joshua. Natürlich geht das Ganze am Ende gut aus, der Rechner lässt sich mit Vernunft von seinen vorprogrammierten Weltkriegsplänen abbringen und Hacker David bekommt sogar das Mädchen, in das er sich verliebt hat. »War Games« war ein echtes Stück Hollywood – aber eins mit weitreichenden Folgen.
Der Film prägte das Selbstbild einer ganzen Generation junger Computerfans. Der australische Cracker »JazzCat« erinnerte sich 2006: »›War Games‹ ließ Hacken glamourös erscheinen. Und einfach. Einigen Schätzungen zufolge nahm die Zahl der Hacker in den USA nach ›War Games‹ um 600 Prozent zu. Die Anzahl der Modem-Nutzer nahm auch zu, um 1200 Prozent. Das machte das Hacken einfach, denn einer anderen Schätzung zufolge benutzte ein Drittel der Hacker dieser ›War Games‹-Generation das Passwort ›Joshua‹.«
Im Jahr 2008, zum 25. Geburtstag des Films, wurde »War Games« in den heiligen Hallen von Google noch einmal gezeigt. Google-Mitgründer Sergey Brin sagte dazu: »Viele von uns sind mit diesem Film aufgewachsen. Es war der Schlüsselfilm einer Generation, insbesondere für diejenigen von uns, die jetzt mit Computern arbeiten.«
Ein Schlüsselfilm war »War Games« auch für Karl Koch. Als er sich in der Hannoveraner Szene als Hacker etabliert hatte, wollte er ebenfalls einmal ins NOR AD-Computersystem des US-Militärs eindringen, so wie Matthew Brodericks Figur im Film. Einer seiner Hacker-Kumpels erzählte dem Regisseur Hans-Christian Schmid später, Koch habe den Zugang eines Tages tatsächlich gefunden – aber dann hätten die beiden sich nicht hineingetraut in den Militärrechner: »Wir loggen uns da nicht ein, sonst gehen garantiert irgendwo rote Lichter an.« Später waren Koch und seine Kumpane weniger zimperlich, sie brachen in Rechnersysteme überall in Europa und den USA ein und stahlen Material, was das Zeug hielt.
Für mich selbst war ein Modem Mitte der Achtziger noch schlicht unerreichbar, die Abenteuer von David und seiner Freundin waren und blieben für meine Freunde und mich Science-Fiction. Bei Karl Koch war das anders – er besorgte sich sein erstes Modem schon als Teenager. Nachdem seine Eltern nacheinander beide an Krebs gestorben waren, investierte er seine Erbschaft unter anderem in eine Rechneranlage und zog nach Hannover. In kurzer Zeit knüpfte er Kontakte zu lokalen Hackern. Man traf sich regelmäßig in Kneipen, die Gruppe nannte sich nach Hannovers Postleitzahl ironisch »Leitstelle 511«. Tim Pritlove, langjähriges Mitglied des Chaos Computer Clubs (CCC) und heute Radiomacher und Podcaster, saß als einer der Jüngsten öfter mit am Tisch: »Das war eine Spezialisten-, eine Hacker-Runde, lauter extrem nette, aufgeschlossene Leute, und davon war Karl eben ein Teil«, sagt er. »Das war ja kein kriminelles Zusammentreffen, sondern da saßen eben Leute, die sich für Computer interessierten und darüber reden wollten, Hacker im eigentlichen Sinn. Karl hatte so seine spezielle Art, aber die hatte dort ja jeder. Dass sich da drei oder vier Leute regelmäßig bei Karl zu Hause zu Hack-Sessions eingefunden haben, davon habe ich nichts gewusst.«
Karl selbst beschrieb diese Treffen später, in einem Lebenslauf, den er im Rahmen einer
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