Nerd Attack
Abstimmung entscheiden, was wichtig ist und was nicht, heißt YiGG, das Vorbild des deutschen Handarbeitsmarktplatzes Dawanda heißt Etsy. Die Originalversion des Online-Lesezeichendienstes Mister Wong heißt del.icio.us . Die Liste ließe sich fortsetzen.
Der Deutsche Konstantin Guericke, der einst in den USA das Businessnetzwerk LinkedIn mit ins Leben rief, sieht eines der Probleme darin, dass in Deutschland Web-Unternehmen meist von ehemaligen Wirtschaftsstudenten gegründet werden, nicht von Menschen, die selbst programmieren können. »Die Innovationen kommen eben aus der Technik.« Xing-Gründer Lars Hinrichs investiert sein Vermögen heute mit Vorliebe in Internet-Startups – aber nur in solche, in denen die Programmierer das Sagen haben: »Wenn das zwei Tech-Typen und ein Business-Typ sind, ist die Sache für mich schon gestorben.« Hinrichs hat eine Art Meta-Unternehmen zur Förderung des kreativen Programmierernachwuchses und seiner Startups gegründet und es »HackFwd« (Hack-Forward) getauft: Nur die Hacker, sagt schon der Firmenname, können uns voranbringen. Hinrichs: »Das sind die Leute, die die besten Ideen haben, weil sie wirklich wissen, was technologisch funktioniert.« Für Hinrichs ist das Problem kein deutsches, sondern ein europäisches: »Das einzige europäische Unternehmen, das es im Internet wirklich geschafft hat, ist Skype.« Der Internet-Telefonie-Dienst Skype wurde im Frühjahr 2011 von Microsoft aufgekauft – für die sagenhafte Summe von 8,5 Milliarden Dollar.
Hinrichs ist in gewisser Weise ein typischer Vertreter des harten Kerns der Generation Heimcomputer. Er verkehrte in Cracker-Kreisen, begeisterte sich für gut programmierte Cracker-Intros, interessierte sich sehr früh für Datenverbindungen zwischen Rechnern, für kostensparende Manipulation von Telefonverbindungen und fand schließlich eine Zeitlang Anschluss an die Zirkel im Umfeld des Chaos Computer Clubs. Er habe es sehr früh als spannend empfunden, sich mit Netzwerksystemen auseinanderzusetzen. »Das war deine Leitung in die Welt. In Sekunden war man in Paris.« Zuerst kam das Spiel – die lukrativen Ideen folgten später.
Auch die Samwer-Brüder hatten nach dem Ebay-Coup noch eine durchaus profitable Idee, die sie allerdings deutschlandweit unbeliebt machte: Sie gründeten den Klingeltonhändler Jamba, der mit seinen unerträglich aufdringlichen und bewusst irreführenden Werbespots, mit denen auch an Minderjährige Abonnements verkauft werden sollten, für viel Kritik sorgte. 2004 verkaufen sie auch dieses Unternehmen, rechtzeitig vor dem Ende des Klingelton-Booms, für 270 Millionen Euro. Heute sind die drei als Investoren tätig, unterstützen Deutsche und internationale Startup-Unternehmen und halten einen kleinen Anteil an Facebook. Wie die Samwers und Lars Hinrichs machen es auch andere erfolgreiche Internet-Firmengründer hierzulande: Sie investieren ihr Geld in Startups, weil sie das Gefühl haben, dass auf diesem Sektor in Deutschland nach wie vor nicht genug geschieht. Lukasz Gadowski, Gründer des Unternehmens Spreadshirt, bei dem man personalisierte T-Shirts drucken lassen kann, betätigt sich heute ebenso als Investor wie der Gründer des Handy-Startups Cellity, Sarik Weber, der seine Firma an Nokia verkaufte. Als Gadowski 2008 gefragt wurde, warum er das tue, antwortete er: »Ich bin ein großer Fan von Unternehmertum und glaube, dass Deutschland hier riesigen Nachholbedarf hat. Viele sind nicht besonders ambitioniert und risikoscheu. Hier wird zu lange und zu theoretisch ausgebildet.«
Es sei auch nicht einfach, Wagniskapital für gute Ideen zu bekommen, schon gar nicht für neue, sagt Lars Hinrichs: »In Europa wird ja nichts finanziert, für das es noch keinen Markt gibt. Europäische Wagniskapitalgeber sind liebend gern dabei, kopierte amerikanische Geschäftsmodelle zu finanzieren.« Auf der Website seines Startup-Förderunternehmens HackFwd steht als Motto folgerichtig: »No Copycats«. Dass man mit dieser Methode die USA noch einholen kann im Wettbewerb um die besten Plätze im Internet, glaubt er nicht. »Aber können wir von Europa aus globale Produkte machen? Das auf jeden Fall.« Derzeit, fügt er hinzu, gebe es in der von dem Marktforscher Alexa erstellten Hitliste der 100 meistgenutzten Web-Angebote der Welt nur einen einzigen Eintrag aus Europa: der Internetauftritt der BBC.
Das digitale Paradies
Im Herbst 1995 hatte ich die einmalige Gelegenheit, in das Mutterland der BBC zu
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