Nerd Attack
Internet-Diffusion noch die Befürchtung herrschte, die technisch vermittelte Kommunikation würde Menschen isolieren, gilt inzwischen eher das Gegenteil: Isoliert ist, wer nicht am Social Web teilnimmt und auf den Netzwerken [...] oder in den ›Buddy Lists‹ der Instant-Messenger-Dienste präsent ist.« Weitere zentrale Erkenntnisse über die 12- bis 24-Jährigen, die befragt wurden: »Erstens weisen die online abgebildeten sozialen Netzwerke in aller Regel hohe Überlappung mit denjenigen Beziehungsstrukturen auf, die auch außerhalb des Internets existieren. Zweitens erreichen die online vorliegenden Netzwerke eine Größe, die weit über den Freundeskreis im engeren Sinn hinausgehen und vielmehr auch ehemalige Schulfreunde, Partybekanntschaften o. ä. umfasst.« Digitale Kommunikation ersetzt nicht ein normales Teenagersozialleben, sie ergänzt es. Mizuko Ito, Danah Boyd und ein Forscherteam von Universitäten in Berkeley und Südkalifornien kamen in einer Studie namens »Digital Youth Project« zu einem ähnlichen Schluss: Jugendliche verbänden sich online »fast immer mit Menschen, die sie schon aus ihrem Of fline-Leben kennen«.
Dass sich im Netz mancherorts tatsächlich eine Erosion der Privatsphäre vollzieht, hat eher mit den Betreibern der Plattformen zu tun, die an möglichst viel Öffentlichkeit unter ihren Nutzern Geld verdienen wollen. Insbesondere Facebook, das längst bei weitem größte Social Network der Welt mit Hunderten von Millionen Nutzern, hat in den vergangenen Jahren mit ständigen Regeländerungen dafür gesorgt, dass das, was einst standardmäßig privat war, nun standardmäßig öffentlich ist. Wer nicht widerspricht, wer sich nicht durch umständliche Einstellungen klickt, macht erst mal alles, was er dort tut, allgemein zugänglich. Auch für Geübte ist es inzwischen schwer zu überblicken, was wann wo öffentlich auftauchen wird.
Gründer Mark Zuckerberg rechtfertigte das Vorgehen in einem Interview im Januar 2010 schlicht so: Die Menschen hätten sich daran gewöhnt, mehr Informationen über sich selbst preiszugeben. Es gebe da eine »soziale Norm«, die sich mit der Zeit verändert habe. Zuckerberg glaubt nicht an soziale Rollen, daran, dass jemand eine Vateridentität, eine Jobidentität und eine für seinen Freundeskreis haben könnte. Der Mittzwanziger erklärte dieses 100 Jahre alte, unter Psychologen als selbstverständlich geltende Konzept kurzerhand für obsolet: »Die Zeiten, in denen man für seine Kollegen ein anderes Image pflegte als für andere Menschen, die man kennt, werden wohl nicht mehr lange andauern«, wird Zuckerberg im Buch »The Facebook Effect« zitiert. Er geht sogar noch weiter: »Zwei Identitäten zu haben zeigt, dass es einem an Integrität mangelt.«
Auch wenn ihm wenige in diesem Rigorismus so weit folgen wollen – dass Privatsphäre weniger wichtig wird, glaubt man auch bei anderen Internetkonzernen. Google zum Beispiel. Als das Unternehmen seinen Social-Networking-Dienst Buzz startete, stieß auch dort das anfängliche Unverständnis für die Privatsphärebedürfnisse der Nutzer auf heftigen Widerstand. Ohne zu fragen, mischte man Privates mit weniger Privatem, in der Annahme, das störe niemanden mehr. So wurde durch die Buzz-Funktionalität automatisch für jeden anderen sichbar, mit welchem seiner E-Mail-Kontakte man sich besonders häufig schrieb. Empörung, wütende Proteste und ein Google-Rückzieher waren die Folge.
In Wirklichkeit verhält sich die Sache genau andersherum, als Zuckerberg behauptet: Facebook und Co. nehmen weniger einen gesellschaftlichen Trend auf, als dass sie ihn schaffen. In »Wired« war im Mai 2010 zu lesen, Facebook gehe es darum, »die Vorstellung der Welt darüber umzugestalten, was öffentlich ist und was privat«.
Meine Generation hatte Glück. Die E-Mail machte unser Leben in einer Phase, in der die Organisation des Sozial-, Sexual- und Beziehungslebens eine so große Rolle spielt, gerade rechtzeitig einfacher, praktischer und schöner, ohne dass man schon ständig auf der Hut sein musste, womöglich versehentlich etwas von sich preiszugeben, das eines Tages gegen einen würde verwendet werden können.
Internetnutzung ist eben nicht zuletzt eine Frage des Alters. Und zwar nicht nur in dieser einen, weidlich diskutierten Hinsicht : dass die Jungen sich auf Neues besser und leichter einstellen können. Sondern auch in der genannten fundamentaleren: Technik, ganz besonders Kommunikationstechnik, wird in
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