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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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durch den Computer«.

Warum es so viele deutsche Kopierkatzen gibt
     
    Hätte mich nicht die »Main Post« als Reporter geschickt, wäre mir damals, Ende 1994, der Zugang zu den Kellern des Rechenzentrums verwehrt worden. E-Mail für alle gab es erst später, und auch die Studenten im Keller hätten eigentlich arbeiten und nicht spielen sollen. Doch der für die Computerräume verantwortliche Mitarbeiter des Rechenzentrums hatte bereits weitgehend resigniert. Die Rechner für fachfremde Zwecke zu nutzen, sei zwar »offiziell verboten«, erklärte er. Das aber sei »schwer zu kontrollieren«. An den Türen der Rechnerräume dokumentierten mahnende Aushänge aus dem Nadeldrucker seine Hilflosigkeit, überschrieben mit den Worten: »Es reicht!«
    Im Nachhinein betrachtet war der Missbrauch die sinnvollste Art und Weise, sich mit dem neuen Medium zu beschäftigen: Nur diejenigen, die seine Möglichkeiten in all ihren Facetten erforschten, waren wirklich gerüstet, auf neue Ideen zu kommen, was man mit dem Internet noch alles anstellen könnte. Dieses elementare Faktum eint praktisch alle erfolgreichen Internetunternehmer der Gegenwart, von Xing-Schöpfer Lars Hinrichs, dem einzigen Gründer eines börsennotierten Netzunternehmens in Deutschland, bis hin zu den Gründern von Google, Ebay oder Facebook. Sie alle begannen einst damit, spielend die Möglichkeiten des vernetzten Rechners zu erkunden. Der Bastlergeist, die Lust am Gestalten der Tabula rasa der Cracker und Hacker der Siebziger und Achtziger trieb auch die Schöpfer des Internets von heute an. In Deutschland aber blieb ein experimentierfreudiger, spielerischer Umgang mit Technik lange Zeit ein Regelverstoß: »Es reicht!« Spaß war als Motivator für die Beschäftigung mit Technologie nicht vorgesehen. Was viele nicht davon abhielt, sich welchen zu verschaffen, leider jedoch meist im Verborgenen und damit außerhalb des Blickfelds von Politik, Wirtschaftsförderung oder Wagniskapitalgebern. Die deutsche Wirtschaft leidet an diesem Defizit bis heute. Spieleentwickler Teut Weidemann hat, was den Kontakt mit den tonangebenden gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland angeht, keine guten Erinnerungen an diese Zeit: »Hier muss alles einen ernsten Charakter, einen ernsten Hintergrund haben, und dazu gehören beispielsweise Spiele nicht.« Man habe damals verzweifelt versucht, an die Politik, an Film und Fernsehen heranzutreten, sei aber ausschließlich auf Ablehnung gestoßen. In der Branche habe damals gegolten: »Ein Bordell bekommt von den Banken eher einen Kredit als ein Spieleentwickler.«
    SAP-Mitgründer Hasso Plattner, der in Potsdam 1998 ein nach ihm benanntes Institut gründete, um eine, wie er das nennt, »Ingenieurskultur« zu etablieren, formulierte seine Wahrnehmung des Problems in einer Rede im Jahr 2002 so: »Motorenbauer sind mit dem Automobil gedanklich fest verbunden: Sie fahren fast alle selbst Auto und kennen daher jeden Aspekt eines Motors im praktischen Betrieb. Bei unseren Software-Ingenieuren ist eine Vertrautheit mit dem Anwendungsgebiet nur selten der Fall.«
    Dabei haben die Softwareentwickler und Programmierer selbst oft sehr gute Geschäftsideen. Schließlich wissen sie, was machbar ist und was nicht. So wie der Informatiker Pierre Omidyar, der 1995 das Internetauktionshaus Ebay gründete. Nach Deutschland kam das Prinzip der Online-Auktionen erst im Jahr 1999. Aufgebaut wurde das deutsche Tochterunternehmen des amerikanischen Internetkaufhauses allerdings nicht von Ebay-Erfinder Omidyar, sondern den deutschen Brüdern Marc, Oliver und Alexander Samwer. Mit einer Verkaufsplattform namens Alando hatten sie eine schamlose Kopie des US-Angebots ins Netz gebracht. Sechs Monate nach dem Start von Alando kaufte der US-Konzern den kleinen, dreisten Konkurrenten kurzerhand auf, für etwa 50 Millionen Euro. Die Samwers etablierten damit ein Muster, das in Sachen Internetunternehmertum in Deutschland bis heute existiert: Sehr viele der Neugründungen, mit denen hierzulande online Geld verdient werden soll, sind mehr oder minder direkte Kopien US-amerikanischer Vorbilder. Amerikanische Investoren und Unternehmer belächeln den deutschen Internetmarkt als »Copycat Culture«.
    StudiVZ ähnelte Facebook anfangs so sehr, dass das US-Unternehmen sogar einen Prozess anstrengte. Im Jahr 2009 einigte man sich außergerichtlich, StudiVZ zahlte eine unbekannte Summe an Facebook. Die deutsche Kopie der US-Nachrichtenseite digg, auf der Nutzer durch

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