Nerd forever
gebissen worden und …«
Nerdine schüttelt den Kopf. »Lass den Blödsinn, Calvin. Dein Freund hat Schmerzen.«
Ich hebe das Pflaster ein Stück an, damit sie die Verletzung sehen kann. »Nicht, dass sich das infiziert!« Nerdine berührt mich an der Hand. Mein Herz schmilzt wie ein überhitzter Prozessor.
»Das ist ja nur ein winziger Punkt«, erklärt Calvin. »Das ist doch überhaupt nicht gefährlich.«
»Hast du es desinfiziert?«, will Nerdine wissen.
»Bissig hat es getan.«
»Gut so. Ich habe gelesen, dass Fischbisse zu Wundentzündungen führen können. Eine Forschergruppe im oberen
Amazonasbecken wurde 1958 von einem Schwarm Piranhas angegriffen. Der Angriff verlief harmlos. Lediglich zwei der Forscher, ein Brite und ein Australier, hatten leichte Bisswunden. Zwei Tage später jedoch trat Fieber auf und der Tod ein.«
Mir wird mulmig. Piranhakeime mit scharfen Zähnen greifen mein Immunsystem an. Ich muss sämtliche Schutzschilde hochfahren.
»Hey, da kommen Jeremias und Jonas!«
Calvin schaut den Flur entlang. Zwei Jungen, gleich groß, gleich dürr, Seitenscheitel und gleiches T-Shirt. Es zeigt Obi Wan Kenobi mit Laserschwert in brauner Robe. Das sind also die Zwillingsnerds aus der 5d. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau Nerdzwillinge bekommt, die Star-Wars-Jünger sind? Wenn ihr wollt, könnt ihr das ja mal ausrechnen.
»Seid gegrüßt!«, sagen sie.
Wer ist Jeremias, wer Jonas?
»Interessieren dich unsere Nerd -Brillen?«
Warum sollten sie? Sie sehen fast so aus wie meine.
»Kennst du die Marke nicht?«, fragt mich Jonas – oder ist es Jeremias? Jedenfalls fährt der andere von beiden fort: »Nerd & Nerd gibt es nicht im Laden,
sondern nur im Netz. Für Nerd & Nerd brauchst du einen IQ von über 130.«
Ich drücke meine Brille fester auf die Nase.
Sie haken nach und reden lichtgeschwindigkeitsschnell. »Wie hoch ist denn dein IQ? Ist es der von Yoda oder eher der eines Klonkriegers?«
Auf Fragen bezüglich meines IQ-Wertes gebe ich nie direkt Auskunft.
»Na, sicher nicht über 130, sonst würdest du ja Nerd & Nerd tragen. Jeder, der intelligent ist und von edlem Geblüt, trägt Nerd & Nerd. Das sagen jedenfalls unsere Eltern. Und die sind Designernerds.«
»Macht nicht so viel Wind. Nerd hat einen IQ von 243«, mischt sich Nerdine ein.
Woher weiß sie das?
Ach, vermutlich hat sie meine Unterhaltung mit Calvin am Spind gehört und wusste sogleich, dass Olympiasieger Javier Sotomayor Sanabria 2,43 Meter hoch gesprungen ist.
Bevor die Zwillinge weiter fragen können, kommt Frau Kastenholz auf uns zu. Sie trägt Faltenrock und Bluse und hat sich die Haare hochgesteckt. Sie wartet hinter der Glastür, und genau in der Sekunde, in der es klingelt, dreht sie den Schlüssel im Schloss. Wir sind drin! Gerade noch rechtzeitig!
Denn die Klassentüren in den Fluren fliegen auf, die Meute stürmt heraus.
»Das hast du gut gemacht, Nerd.«
Was meint Frau Kastenholz damit?
»Na, das mit dem Hausmeister und den Piranhas. Ich habe mir auf dem Netz live die Piranha-Eier angeschaut. Ich würde sagen, die Eier haben schon einige Tage dort gelegen. Die Tiere müssten heute oder morgen schlüpfen.«
Ist sie Piranhatologin?
»Woher wissen sie das?«, frage ich. Sie wird rot im Gesicht.
»Genug Gerede über Piranhas. Wir müssen arbeiten.« Calvin will unbedingt mit Nerdine und mir Ricks Pfuschzettel für die kommende Englischarbeit anfertigen. Die Nerdzwillinge müssen derweil die Aufgaben für Tom und Darwin erledigen, die Mobber in ihrer Klasse.
Während bei uns Rick der Obermobber ist und Alex sein direkter Untergebener, bilden Tom und Darwin in der 5d eine gleichberechtigte Mobber-Doppelspitze mit jeweils eigenen Schleimern. Jonas und Jeremias skizzieren kurz
auf einem DIN-A4-Blatt, wer in ihrer Klasse in der Hack- und Schleimordnung* auf welchem Platz steht. Ich mag solche Diagramme. Sie vereinfachen nicht nur physikalische und mathematische Wege, sondern Ordnungen aller Art. *(Das Wort Schleimer ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, denn früher waren Schleimer ehrbare Leute, die Baumzweige mit Kleber eingeschleimt haben, um Vögel zu fangen, die sich darauf setzten. Sie verdienten also ihr Geld mit professioneller Schleimerei!)
»Nerd? Könntest du bitte mal kommen?« Frau Kastenholz ruft nach mir. Sie steht mit ihren dünnen Beinchen wie eine Gottesanbeterin auf der Leiter und dreht den Beamer an der Decke.
»Kannst du bitte mit der
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