Nero
Tigellinus, – und nächstens wollte er sich die Sache einmal überlegen. Vorläufig hatte er alle Veranlassung, über das Resultat dieser Marsfeldwanderung zufrieden zu sein, kolossal zufrieden, denn Claudius Nero ging in der That ganz über alle Erwartung ins Zeug, – bei der Pferdegöttin Epona, ganz über alle Erwartung! . . .
Das andre Augenpaar, das unbemerkt auf dem Kaiser und seiner rosigen Partnerin weilte, gehörte dem Nicodemus. Durch seine Späher und Horcher hatte er in Erfahrung gebracht, was Tigellinus und Nero für die Zeit zwischen dem Frühstück und dem Hauptmahl geplant hatten. Sofort war er mit Acte nach dem Marsfeld geeilt, – und als er des Kaisers ansichtig ward, zog er sich schleunigst zurück, alles übrige der Klugheit des jungen Mädchens anheimgebend. Acte, die erst seit einigen Wochen in Rom weilte – sie hatte bis dahin eine Verwandte des Nicodemus in Ostia gepflegt – war in den Kreisen der Nazarener fast schon berühmt geworden wegen der wundersamen Kraft und Eindringlichkeit ihrer Bekehrungsversuche. Die Anhänger, die sie der Lehre Christi erworben hatte, zählten nach Dutzenden. So hatte sich denn der rastlose, fieberische Nicodemus entschlossen, dem verblüffenden Ziele, das er sich vorgesetzt, nicht nur auf dem Weg über Seneca, sondern unmittelbar nahe zu kommen und Acte, die unwiderstehliche Fürsprecherin, schlankweg in den Gesichtskreis des Imperators zu stellen. Ehedem Inhaber eines bedeutenden Handlungshauses, war Nicodemus auf einer Orientfahrt mit den Lehren der Nazarener bekannt geworden; der Tod eines geliebten Sohnes festigte in seinem trostbedürftigen Herzen die Ueberzeugung von der göttlichen Wahrheit des Christentums; und nachdem ihn der Glaube siegreich über den Jammer dieses Verlustes emporgehoben, brannte er nun von einer wahrhaft verzehrenden Glut, diesem Allheilmittel zum endgültigen Triumph über die Irrlehren des römischen Staats zu verhelfen. Wohlvertraut mit der Philosophie des Seneca, den er in früheren Jahren durch finanzielle Gefälligkeiten dringend verpflichtet hatte, fand er die innere Verwandtschaft zwischen der Lehre Jesu und dem weltverachtenden Stoicismus freudig heraus und knüpfte daran die tollkühne Hoffnung, mit einiger Klugheit den Zögling des Seneca in den Jünger des Zimmermannssohnes von Nazareth zu verwandeln.
Acte schien ihm als Mittel zu diesem Zweck wie geschaffen, nicht nur um ihrer warmherzigen Beredsamkeit willen, sondern auch – so sehr er sich dies verhehlte –, weil sie der Inbegriff aller Anmut und Weiblichkeit war. Sie würde auf Neros Gemüt, vielleicht sogar auf sein Herz wirken, – und was schadete es, wenn hier der welterlösende Glauben ausnahmsweise einmal seinen Einzug hielt auf den Flügeln der irdischen, baldvergänglichen Liebe? Acte wußte ja, was sie sich schuldig war . . . Sie würde im letzten Moment noch die Kraft finden, ihre Tugend aus der tosenden Brandung ans Ufer zu flüchten.
So legte sich Nicodemus die Sache zurecht . . . .
In Wahrheit und sich selber nicht klar, hatte er das Gefühl: »Und wenn dies eine Lamm auch zu Grunde geht, – der großen Herde wird sein Verderben zum Heil gereichen.« Der Bethörte hatte vergessen, daß aus dem Ueblen und Schändlichen niemals ein Gutes entsproßt; die vorurteilsfreie Abschätzung der Dinge war ihm abhanden gekommen.
Jetzt verfolgte er, durch die Gestalt eines breitschulterigen Chamaven gedeckt, die rasch wachsende Vertraulichkeit seiner Freigelassenen und Claudius Neros mit fast dämonischer Freude. Das alles spielte sich herrlicher ab, als er jemals gehofft hatte. Das Antlitz des Imperators zeigte nichts von jener schäkernden Leichtmütigkeit, die sonst das Anknüpfen gewisser Beziehungen mit Schönheiten von niederer Geburt charakterisiert; hier glänzte vielmehr eine bewundernde Sympathie, eine fast scheue Verehrung. Wenn Acte sich klug benahm, konnte sie das Herz dieses edelveranlagten Jünglings formen und bilden wie hymettisches Wachs.
Eine Weile noch hatte die Unterredung zwischen dem Cäsar und der lieblichen Freigelassenen fortgedauert. Plötzlich ergriff Nero, von seinen Empfindungen überwältigt, beide Hände des jungen Mädchens und drückte sie stürmisch an seine Brust.
»Acte,« sprach er, »du hast mir's angethan mit der flutenden Melodie deiner Rede, mit der himmlischen Anmut und Klugheit deiner tiefblauen Augen . . . Was du so flüchtig nur angedeutet, weckt mir die gewaltigsten, unermeßlichsten Bilder!
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