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Nero

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Titel: Nero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Eckstein
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sein thränenbeströmtes Angesicht in den Polstern.
    Tigellinus fühlte mit jedem Augenblick sich unbehaglicher und verstimmter. Nach einer langen Pause der Ueberlegung sprach er pathetisch: »Weine dich aus, herrlicher Cäsar! Diese Thränen gelten der Kindheit, die ja dem Glücklichsten unter uns wie ein ewig verlorener, seliger Traum erscheint. Von der Zaubergewalt der Erinnerung übermannt, fühlst du jetzt nicht, daß alles längst schon begraben war; daß jene liebende Mutter, die den Sohn auf den Knieen gewiegt, in der Schlammflut eines gehässigen Ehrgeizes, einer abgrundtiefen Selbstsucht ertrunken ist, nicht, wie du dir einredest, in den Gewässern des Golfs. Weine, Cäsar, und bringe so, wenn du es willst, ihren Manen ein Sühnopfer! Befreie ihr Andenken von allem Verwerflichen, was ihr anhaftet! Vergiß die zahlreichen Opfer, die sie geschlachtet hat! Gönne ihr deine Verzeihung – und hebe dann frohen Mutes das Haupt, um aufs neue zu strahlen, zu herrschen und zu genießen!«
     

Band 3
     

Erstes Kapitel
     
    Mehrere Stunden lang hielt Agrippina den Pfeiler umklammert, der die Ermüdende von der ewigen Nacht in der Tiefe trennte. Sie hatte sich ihres Opfers, der unglückseligen Acte, erinnert. Und siehe, es war, als ob die Götter dieses Reuegedankens wegen sich ihrer erbarmen wollten. In der gleichen entsetzlichen Lage widerfuhr ihr ein Aehnliches wie der Freigelassenen des Nicodemus.
    Schon war ihr Leib von der Kühle des Meerwassers beinah erstarrt; sie fühlte nur noch das pochende Haupt und die beiden Arme, die sich mit letzter entschwindender Kraft ihrer Muskeln um das geschnitzte Holz spannten. Da kam aus der Richtung des misenischen Vorgebirgs eine Barke, die, mit Blumen beladen, von Cajeta nach Puteoli fuhr. Agrippina rief mit der Volltönigkeit der Verzweiflung über die mondscheinbeglänzte Fläche, – sechs, achtmal, bis ein flatterndes Tuch und ein lautes ›Harre noch aus!‹ ihr die Antwort gab. Fünf Minuten später war sie in Sicherheit.
    Dem eigenen Auge nicht trauend, wortlos vor Staunen, beugten sich die ehrlichen Schiffsleute vor der ungeahnten Erscheinung. Agrippina, die Kaiserin! Jeder von ihnen kannte die ernsten, charakteristischen Züge – wenn nicht aus eigener Anschauung, so doch aus den unzähligen Büsten und Statuen, die überall, wo römisch geredet wurde, die Plätze der Städte und selbst der kleineren Municipien schmückten. Niemand wagte zu sprechen. Man führte die Tödlich-Ermattete unter Deck, reichte ihr Tücher und Teppiche und ein trockenes Gewand, wobei es zu statten kam, daß die Tochter des Gärtners, ein hochgewachsenes neunzehnjähriges Mädchen, zufällig mit an Bord war.
    Kaum hatte sich Agrippina halbwegs erholt, als die unbeschreibliche Wut, die der Kampf mit der Meerflut zurückgedrängt hatte, in dreifacher Heftigkeit wieder hervorquoll. Der elende Mordbube! Seine zärtlichen Worte, die warmen Händedrücke, die weichen Umarmungen, das sehnsuchtsvolle › Glykeia mater‹ – kurz, die ganze Aufnahme in der götterverhaßten Villa zu Bajä war also schnöde, feile, schurkenhafte Komödie! Und sie, Agrippina, die sonst alles durchschaute, – sie hatte sich täuschen lassen! Diese Beschämung drückte sie fast noch schwerer zu Boden, als die fürchterliche Enttäuschung des Mutterherzens.
    Sie bezwang ihren rasenden Grimm. Die volle, die zerschmetternde Rache konnte nur dann gelingen, wenn das empörte Blut ruhig und ebenmäßig dahinfloß. Ihr Verstand mußte zum Wort kommen, unbeeinträchtigt vom Getöse ihrer Empfindungen. Nach kurzer Frist schon war sie mit ihrem Schlachtplan im reinen.
    »Ihr wackeren Männer,« sprach sie, die Schiffsleute um sich versammelnd, »ich danke euch! Ja, ich bin's, die Kaiserin Agrippina. Wir fuhren im Lustschiff über den Golf, – denn die mondhelle Nacht schien so fromm und friedsam. Ein plötzlicher Wirbelwind hat uns den Nachen zertrümmert. So unbeständig sind die Lose der Menschen. Ich bitt' euch indessen: schweigt mir über den Vorfall, als ob euch selber die Schuld träfe. Wollt ihr?«
    »Herrin, wie du gebietest!«
    »Ihr werdet es nicht zu bereuen haben. Jetzt aber führt mich schleunigst nach Bauli! Was der Gärtner verliert, soll ihm hundertfältig ersetzt werden.«
    Die Leute gehorchten. Es war leuchtender Tag, als sie den Strick um die Pflöcke warfen. In majestätischer Gleichmütigkeit schritt Agrippina ans Land.
    »Wartet!« sagte sie, Abschied nehmend.
    Gleich danach kam ihr Obersklave ans

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