Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
Halt verlor, weil das Blut se ine Hand wie e in glitschiger, roter Spülhand-schuh überzog. Es gelang ihm, den rechten Fuß auf eine Sprosse zu stützen, er beugte das Knie, sprang ab und fand eine Sprosse höher erneut Halt. Jetzt ging es besser. W
enn er nur nicht
ohnmächtig wurde. Er sah nach unten. Zehn Meter? Nein, er durfte definitiv nicht o hnmächtig werden. W eiter. Es wurde dunkel. Zuerst glaubte er, ihm selbst sei schwarz vor A ugen geworden, so dass er nicht mehr weiterkletterte, doch als er nach unten blickte, konnte er die Autos sehen und eine Polizeisirene hören, die wie ein Sägeblatt du rch die Luft schnitt. Er sah wieder nach oben. Das Loch am Ende der Leiter war schw arz geworden. Waren W olken aufgezogen? Ein Tropfen zersprang auf dem Lauf der Pistole. Schon wieder ein Mangoschauer?
Harry versuchte, einen weiteren Schritt zu m achen. Er spürte sein Herz klopfen, unregelmäßig, den einen oder anderen Schlag aussetzend, es tat sicher, was es konnte.
Was soll das Ganze? , fragte er sich und sah nach unten. Bald war der erste Streifenw agen da. Jens war s icher bereits ü ber diesen Geisterweg entschwunden, grölend vor Lachen, und kletterte jetzt irgendwo in einem anderen Viertel nach unten, um dann – schwups – in der Menschenm enge unterzutauchen. Der Zauberer von diesem verdammten Oz.
Der Tropfen rann am Schaft entlang und zwischen Harrys zusammengebissene Zähne.
Drei Gedanken m eldeten sich gl eichzeitig. Der erste lau tete, wenn Jens gesehen hatte, dass Harry lebendig aus Millie’s Karaoke gelaufen war, würde er sicher nicht abhauen – er hatte keine Wahl, er musste sein Werk vollenden.
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Der zweite sagte, dass Regentropfen weder süßlich noch metallisch schmecken.
Der dritte Gedanke war der, da ss es sich nicht bewölkt hatte, sondern dass jemand das Loch versperrte, jemand, der blutete.
Dann ging alles sehr schnell.
Er hoffte, noch genug Nerven in seiner linken Hand zu haben, um sich festzuhalten, riss mit der rechten die Pistole aus seinem Mund, sah Funken von oben über die Sprossen herabstieben, hörte das Pfeifen des Projektils und spürte ein Zupfen an seinem Hosenbein, ehe er selb st die W affe auf das schwarze Lo ch gerichtet hatte und feuern konnte. Er spürte den Rückstoß in seinem lädierten Kiefer. Auch oben leuchtete Mündungsfeuer auf und Harry schoss, bis sein Ma gazin leer war. Er drückte immer wieder ab, doch es war nur ein m etallisches Klicken zu hören. Verdammter Amateur.
Er konnte den Mond wieder sehe n, ließ die Pistole fallen und kletterte weiter die Leiter hoch, als die Waffe unten aufschlug.
Dann war er oben. Die Straße , die W erkzeugkoffer und die Baumaschinen badeten im gelben Licht d es lächerlich g roßen Ballons, den jemand über ihnen aufg ehängt hatte. Jens saß m it auf den Bauch gepressten Hände n auf einem Haufen Bausand und bewegte seinen Oberkörper kichernd hin und her.
»Verdammt, Harry, jetzt hast du aber Mist gebaut. Sieh her.«
Er nahm die Arme zur Seite. Es quoll heraus, dick und glänzend.
»Schwarzes Blut. Das bedeutet , dass du die L eber getroffen hast, Harry. Da laufe ich noc h Gefahr, dass m ir mein Arzt verbietet, Alkohol zu trinken. Das ist gar nicht gut.«
Die Polizeisirenen wurden imm er lauter. Harry versuch te, seinen Atem unter Kontrolle zu bringen.
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»An deiner Stelle würde ich das nicht so schwernehm en, Jens.
Ich habe gehört, dass der Cogn ac in den thailändischen Gefäng-nissen sowieso nicht sonderlich gut sein soll.«
Er begann, auf Jens zuzuhinken, der nun erneut die W affe auf ihn richtete.
»Na, na, jetzt werd mal nicht übermütig, Harry, das tut nur ein bisschen weh. Nichts, was sich für Geld nicht regeln ließe.«
»Du hast keine Munition mehr«, sagte Harry und ging weiter.
Jens lachte und musste husten.
»Guter Versuch, Harry, aber ich fürchte, nur du hast dein Magazin leer geschossen. Ich kann nämlich zählen.«
»Kannst du das?«
»Hä, hä, ich dachte, das hätte ich dir erklärt. Zahlen. Davon lebe ich.«
Er zeigte es mit den Fingern der freien Hand an.
»Zwei für dich und diese Tussi im Karaokeschuppen und drei auf der Leiter. Bleib t eine fü r dich übrig, Harry. Manchm al sollte man sich etwas für schlechte Zeiten aufheben, m einst du nicht?«
Harry war nur noch zwei Schritte entfernt.
»Du hast zu viele schlechte Krimis gesehen, Jens.«
»Die berühmten letzten Worte.«
Jens setzte eine bedauernde Miene auf und drückte ab. Das Klicken war
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